Menasse, Robert
Die Vertreibung aus der Hölle Roman
Belletristik

Ausbeutung der Geschichte Am Anfang war die Begegnung mit einem Bild, so der Autor. Er stand vor dem Bild des Rabbi Menasse (das nun das Cover des Buches schmückt) und las sich selbst. Eine Begegnung, die ihn für die historische Figur dieses Freundes Rembrandts zu interessieren begann. Und aus der letztendlich dieses Buch entstand. Das 17. Jahrhundert verbunden mit den 20. Jahrhundert. Die Verbindung von Anfang und Ende der Neuzeit. Inquisition am Beginn des europäischen Rationalismus und Auschwitz als dessen Ende. Eine gewagte und umstrittene These und ein gewagtes literarisches Unterfangen, das besser geglückt wäre, hätte sich Menasse auf das Erzählen des 17. Jahrhunderts, das er historisch recherchiert und bildreich erfindet, beschränkt: die Autodafés der Inquisition in Portugal gegen bekennnende wie assimilierte Juden. Der 1604 geborene Mané nimmt selbst der Judenhetze teil ohne zu ahnen, dass seine eigene Familie betroffen sein könnte, wird von der Inquisition in ein Internat der Jesuiten gesteckt und flüchtet schließlich im Sarg (!) mit den Eltern nach Amsterdam, wo er später als Manasseh ben Israel Lehrer Baruch Spinozas wird. Menasse verknüpft diesen Bildungsroman mit einem zweiten, der Geschichte des nachkriegsgeborenen Viktor. Viktor, so beginnt spektakulär der Roman, nützt die 25-Jahrfeier seiner Matura, um seine ehemaligen Lehrer als NSDAP-Mitglieder zu diffamieren (was sich später auch als Farce, als Fälschung herausstellen wird.) Übrig bleiben nach dem entrüsteten Aufbruch von Lehrern und Schülern Viktor und Hildegund, die über dreißig Portionen essen und trinken und danach - sich in eigenartigen Dialogen an die Vergangenheit erinnernd - gemeinsam mit dem Taxi durch die Nacht fahren. Ein Satz, der in einer Biographie (Viktors oder Manés) beginnt, führt in die andere über - ein sprachlicher Gag? Menasse will damit die beiden Geschichten verschränken. Aber wo die Geschichte dieses Rabbi Menasse in jene des 1955 am Heldenplatz geborenen Viktor Abravanel übergeht, wird die Sache fast banal, die biographischen Analogien sind eher peinlich. Die Erzählungen, die das 17. Jahrhundert charakterisieren, würden intelligente Leser ohnehin auf Parallelen im 20. Jahrhundert verweisen : Judenverbrennungen im großen Stil, Elend und Glück des Exils ... Heimatlosigkeit etc. Hätte es da jene Figur gebraucht, die allzu sehr an Robert Menasse selbst erinnert? Wenn man dieser Figur eine nützliche Rolle in diesem Roman zuschreiben will, dann diese: Manés "Nachfahre" ist lächerlich, diffamiert, wo keine Schuldigen sind, sieht sich als moralisch Überlegener. Missbraucht die Geschichte, die Erinnerungen und Leiden anderer. Obwohl seine Leidensgeschichte ja angesichts der des Rabbis harmlos erscheint und seine Jahre im Internat und seine Diffamierung als Trotzkist auch nicht wirklich mit der Lebens- und Leidensgeschichte vergleichbar (und verglichen wird ja permanent, ja penetrant) erscheinen. Vielleicht wollte Menasse mit diesen ärgerlichen Parallelen gerade diese unangemessenen Vergleiche mit dem Ungeheuerlichen des 20. Jahrhunderts, diesen vereinnahmenden Umgang mit Geschichte (und das durch einen Historiker, wie Viktor einer ist) ins Lächerliche ziehen. Wirklich deutlich wird dies allerdings nicht. Zumindest liefert der Autor, der lange in Amsterdam gelebt hat, wo er sich auch zur Zeit aufhält, einen literarischen Beitrag zur aktuellen Diskussion rund um Erinnern und Vergessen: Der Vater des Rabbi Menasse engagiert sich in Amsterdam in einer Gesellschaft, die die Notwendigkeit des Erinnerns predigt. "Erinnern, erinnern! Niemals vergessen! In der Nacht aber, wenn er im Schlafe schrie, schrie er seine Sehnsucht nach dem Vergessen. Vergessen! Wenn er nur vergessen könnte!" Und Viktors Großvater will nicht über die Zeit des Holocaust reden, was der Enkel als demütigend empfindet, bis er merkt, dass es vielleicht demütigend für die Großeltern war, immer wieder danach gefragt, an diese Zeit erinnert zu werden, für die sie offenbar keine Worte hatten. Brigitte Schwens-Harrant *Sz* 4/2001


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Personen: Menasse, Robert

DR
MENASSE

Menasse, Robert:
¬Die¬ Vertreibung aus der Hölle : Roman / Robert Menasse. - Frankfurt am Main : Suhrkamp, 2001. - 492 S.
ISBN 3-518-41267-1 fest geb. : DM 49,80 / SFr 45,80 / ATS 3

Zugangsnummer: 0006320001 - Barcode: 6104054604
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