Fulminantes Romandebüt des berühmt-berüchtigten Kurzgeschichtenautors. (DR) "Lincoln in the Bardo" kann man wohl als experimentellen Roman bezeichnen, schon allein, weil die Geschichte keine definierbare Erzählinstanz aufweist. Saunders lässt, ähnlich wie in einem Drama, Charaktere berichten, die allerdings nicht miteinander, sondern nebeneinander, manchmal sogar gegeneinander, reden. Wie in einem schlecht dirigierten Chor. So scheint es auf den ersten Blick. Dazu kommen zahlreiche kommentarlos aneinandergereihte, mit Quellenangaben versehene Passagen. Und ein über den Tod seines Sohnes trauernder Vater. Hat man sich an die Machart einmal gewöhnt, eröffnet sich eine Welt herzbewegender Tragikomik. Denn es geht um William Wallace Lincoln, der im zarten Alter von elf Jahren an Typhus gestorben ist. Bei Saunders landet der Präsidentensohn allerdings nicht im Jenseits, sondern hängt im "Bardo", der aus dem Buddhismus bekannten Zwischenwelt, fest, wo er eine Nacht lang von drei Zwischenweltgestalten begleitet wird: Roger Bevins III, der sich die Pulsadern aufschnitt, nachdem er seine homosexuelle Ader entdeckt hatte; Hans Vollman, der von einem Balken erschlagen wurde, als er an seine junge Gattin dachte; und Reverend Everly Thomas, der als Einziger weiß, dass das Schlimmste noch kommt. Denn der Bardo entspricht dem Limbus, jener Vorhölle, die erst Papst Benedikt XVI. abschaffte. Nach und nach aber entpuppt sich das mosaikartige Stimmengewirr trotz der nächtlichen Totenklage als eine Ode ans Leben, als Hymne an die Empathie und Menschlichkeit, wenn die sich stets neckenden Halbtoten letztlich beschließen, ihre und andere Seelen zu retten. Für eine anspruchsvolle Leserschaft.
Personen: Saunders, George Heibert, Frank (Übers.)
DR.H
SAU
Saunders, George:
Lincoln im Bardo : Roman / George Saunders. Aus dem amerikan. Engl. von Frank Heibert. - München : Luchterhand, 2018. - 445 S.
ISBN 978-3-630-87552-1 fest geb. : ca. € 25,70
DR.H - Belletristik