Tier, was bist du mir? : Mensch-Tier-Beziehungen in aktuellen Sachbüchern von Bettina Huber Susanne Preusker war Psychotherapeutin im Strafvollzug, bevor ein Sexualverbrecher sie als Geisel nahm und sieben Stunden in seiner Gewalt hielt. Danach war alles anders. Sie fand sich in einem "neuen, ungeliebten Leben, das sich so verkehrt anfühlte", wie sie im Vorwort zu ihrem neuen Buch schreibt. "Wenn das Glück mit dem Schwanz wedelt. Warum Hunde die besseren Therapeuten sind" ist gewissermaßen die Fortsetzung zu dem Bestseller "Sieben Stunden im April", in dem Preusker von ihrer traumatischen Geiselnahme erzählte. Doch wenn einem das Leben zerstört wurde, wie geht es dann weiter? Muss man erst den Verlust verkraften, bevor man einen neuen Weg einschlagen kann? Oder ist es vielleicht umgekehrt: Erst die Idee, wie es weitergehen könnte, macht den Verlust akzeptabel? Susanne Preusker geht darauf nicht näher ein, sie schreibt nur, etwas fehlte: "Eine Aufgabe, eine sinnvolle Beschäftigung, eine echte Herausforderung. Zum Beispiel in Form eines Hundes. Die Vorteile, so dachte ich, lägen auf der Hand: Es ist immer jemand da, ein Blick aus dankbaren Hundeaugen täte meiner Seele gut, bedingungslose Liebe inklusive freudigem Schwanzwedeln seien mir gewiss. Und der ganze Rest werde sich finden." Um es gleich vorwegzunehmen: Im Hundebuch ist das Geiseldrama kein Thema. Preusker deutet zwei-, dreimal an, dass sich ihr Leben an einem bestimmten Punkt unfreiwillig und radikal verändert hat, mehr mutet sie den LeserInnen nicht zu. Auch bei der im Untertitel angesprochenen Therapie geht es nicht um die "Therapie", sondern um den Hund. Genauer gesagt: um Hündin Emmi. Das Besondere an Emmi ist ihre Rasse. Sie ist vermutlich eine Mischung aus Staffordshire Bullterrier und American Staffordshire Bullterrier - und genauso schaut sie auch aus. Für alle, bei denen es nicht läutet: Hunde dieser Rasse kommen oft zu Herrchen, die Aggression mit Stärke verwechseln; manche Hunde (müssen) lernen, das ebenfalls zu verwechseln. Deshalb sagt man diesen und anderen Bullterrierrassen generell hohe Aggressivität nach. Gemeinhin kennt man sie als "Kampfhunde". Hündin Emmis Eltern waren Zuchttiere, die die Polizei aus einer qualvollen Haltung befreit und ins Tierheim gebracht hatte. Dort wurde Emmi geboren. Möglicherweise war Aggressivität ein Zuchtziel des Ex-Herrchens gewesen, Genaues wusste man nicht. Allerdings wird das Wesen eines Hundes von mehr als nur der Zuchtlinie bestimmt. Trotzdem! Wie kommt eine intelligente, gut ausgebildete Frau zu einem solchen Hund? Das Trauma? Helfersyndrom? "Ich betrete die Box des Tierheims und ein Fellknäuel purzelt mir entgegen, das bei näherem Hinsehen aus fünf Staffordshire-Minis besteht. Eins süßer, knuddeliger, herziger, tapsiger als das andere. Und dann kam sie, dieses kleine Teil mit halbem braunem Kopf, die Kleinste und Zarteste des Wurfes, direkt auf mich zugestolpert und leckte mir hingebungsvoll die Hand. Sie hat mich ausgesucht. Von allen Menschen auf dieser Welt mich und nur mich!" Einwände, Bedenken, die behördlichen Auflagen, alles "egal"! Ein E-Mail mit Foto an ihren Mann später ("Ich finde, sie sieht aus, als hieße sie Emmi", Antwort: "Grundgütiger!") ist Emmis Familienmitgliedschaft beschlossene Sache. Überall auf der Welt knüpfen Behörden Bedingungen an die Haltung und Zucht bestimmter Hunderassen. Eine wissenschaftlich vertretbare Begründung gibt es dafür nicht, einheitliche Regeln auch nicht. Manche schmähen sie als willkürlich und populistisch; anderen sind sie zu wenig, sie sähen manche Rasse gerne ausgerottet. Das führt zum erbitterten Meinungsaustausch in Foren, in der Presse und auf der Straße. Die Aggressivität zwischen Verteidigern und Gegnern einer Rasse haben Behörden noch nicht besteuert. Zur Psychologie von Tier und Mensch Einige wissenschaftliche Hintergründe zu Biss- und Tötungsstatistiken von Hunden kann man im Buch des Psychologen Hal Herzog nachlesen. In "Wir streicheln und wir essen sie. Unser paradoxes Verhältnis zu Tieren" erklärt er, warum es bei einer bestimmten Rasse zu einem sprunghaften Anstieg bei der Zahl aggressiver Übergriffe kommen kann: Hunderassen sind Modeerscheinungen, weshalb es plötzlich sehr viele Exemplare einer bestimmten Sorte Hund geben kann, von deren Existenz vorher kaum jemand wusste. Aber je mehr Individuen einer Rasse es gibt, umso wahrscheinlicher erscheint diese in einer Biss- und Tötungsstatistik. Doch es gibt auch weniger harmlose Gründe. So fanden mehrere Studien heraus, dass Halter von Pitbull Terriern öfter wegen eines Gewalt- und Drogendelikts vorbestraft sind als Halter anderer Rassen. Die radikale Tierschutzorganisation PETA hingegen veröffentlichte Zahlen, dass Pitbulls am häufigsten Opfer unverantwortlicher Hundehalter sind. All das hat zur Folge, dass allein in Amerika jährlich 900.000 ungewollte und nicht mehr vermittelbare Pitbulls eingeschläfert werden müssen, wie Herzog anführt. Herzog widmet sich noch anderen Aspekten der Mensch-Tier-Beziehung. Seit etwa zwanzig Jahren gibt es dazu ein eigenständiges Forschungsgebiet namens Anthrozoologie, und wie es im Namen bereits anklingt, treffen hier von Anthropologie bis Zoologie viele wissenschaftliche Fachrichtungen aufeinander. Herzog, Professor der Western Carolina University, ist Pionier und Experte auf diesem Gebiet. Sein ursprüngliches Interesse wurde geweckt, als man ihn fälschlicherweise bezichtigte, er verfüttere ungewollte Katzenjunge aus dem Tierheim an die Riesenschlange in seinem Terrarium. Erstmals überdachte er eine Moral, die erlaubte, Rinder, Schweine und Geflügel in Form von Dosenfutter an Hunde und Katzen zu verfüttern, jedoch verbot, mit eingeschläferten Katzenjungen eine Riesenschlange zu ernähren. Diese und andere persönliche Erfahrungen verwebt Herzog mit zahlreichen Fallbeispielen und dem aktuellen Stand der Wissenschaft zu einem informativen Sachbuch, das neben dem Einstieg ins Thema gleichzeitig einen Überblick bietet. Stilistisch bleibt er stets im Plauderton, was das Buch leicht lesbar, aber nicht zu leichter Lesekost macht. Schonungslos wird man mit unbequemen Fragen und verstörenden Tatsachen zu Fleischkonsum, Tierversuchen oder Haustierliebe konfrontiert. Das Kapitel zu letzterem Phänomen trägt den Untertitel: "Warum Menschen (und nur Menschen) Haustiere lieben" und Herzog erörtert darin die Motive, einem Tier Nahrung, Schutz und Fürsorge zu bieten. Sein Schluss ist recht unsentimental. Die Haustierhaltung sei schlicht ein fehlgeleiteter Elterninstinkt, der zu einer Art Brutparasitismus führt. (Bei uns kennt man das vom Kuckuck.) Auslöser seien, neben dem bekannten Kindchenschema, Mechanismen der Konsumpsychologie, die das Haustier vom Nutztier und Gefährten in ein Mode-Statement verwandelten. Den Wölfen auf der Spur Ein ebenso streitbarer, in Österreich jedoch ungleich populärerer Wissenschaftler ist Kurt Kotrschal. Der Biologe, Verhaltensforscher und Mitbegründer des Wolfforschungszentrums im niederösterreichischen Ernstbrunn, hat erreicht, wovon andere träumen. Er forscht in einem international ausgebildeten Team, ist von öffentlichen Geldern weitestgehend unabhängig und gleichermaßen der Fachwelt wie der Öffentlichkeit ein Begriff. Man darf sich fragen, ob Kotrschal ähnlich populär wäre, gälte sein Interesse Brillenkobras oder Bartagamen und nicht gerade Wölfen. Doch sollte man das tun, bevor man sein erstes Sachbuch in die Hand nimmt. Denn in "Wolf-Hund-Mensch" erzählt Kotrschal nicht nur "Die Geschichte einer jahrtausendealten Beziehung", sondern auch die Geschichte des Wolfforschungszentrums sowie seine persönlichen Erlebnisse mit den Wölfen. In der Nähe zum Tier und der Liebe zur Natur erinnert er dabei an weiland Konrad Lorenz. Das Buch lebt von Kotrschals leidenschaftlicher Erzähllust und den zahlreichen Farbfotos, die einem den Alltag im - für Besucher zugänglichen - Forschungszentrum näherbringen. Spätestens bei den berührenden Wolfporträts wird man sich schwertun, Kotrschal nicht um seinen Job zu beneiden. Anhand der Wolfporträts wird auch eine von Kotrschals Lieblingshypothesen nachvollziehbar: "Wir lieben und hassen sie, wir achten und verachten sie, aber kaum jemand bleibt von ihnen unberührt." Mit "sie" meint er auch Hunde, aber in erster Linie Wölfe, die die einzigen noch lebenden, wilden Nachkommen jener Urtiere sind, aus denen sich vor etwa 15.000 Jahren der Hund entwickelt hat. Diesem Umstand ist das große Forschungsinteresse zu verdanken, das Wölfen und Hunden heutzutage zukommt. Vergleicht man den Hund mit seiner "Wildform" Wolf, kann man herausfinden, wie seine Anpassung an den Menschen erfolgte. Dabei geht es zum Beispiel um die Fähigkeit, menschliche Gesten und Mimiken zu interpretieren. Hunde können das schneller und nutzen es besser zu ihrem Vorteil als Wölfe. Forscher führen das auf die Domestikation zurück. Dieser evolutionäre Prozess begünstigte jene Tiere, die sich besonders beim Menschen beliebt machen konnten, und deshalb ernährt, geschützt und gezielt zur Weiterzucht eingesetzt wurden. So wurde die Gefallsucht an nachfolgende Generationen vererbt, was nicht nur das gesamte Verhalten beeinflusste, sondern auch das körperliche Erscheinungsbild. Im Lauf der Jahrtausende entstand so der Hund, den wir heute kennen. Aber Anthropologen gehen davon aus, dass auch der Mensch von diesem Anpassungsprozess der Hunde Vorteile hatte. Die Symbiose bestand darin, dass die Urhunde bequem vom Abfall der Menschengruppen leben konnten, während die Menschen von deren Wachsamkeit profitierten und durch sie bessere Jagderfolge erzielten. Biologisch gesehen ist die Domestikation also kein einseitiger, sondern ein wechselseitiger Prozess. Nicht nur der Hund veränderte sich durch den Menschen, sondern auch der Mensch durch den Hund. Weswegen der heutige Mensch quasi genetisch darauf programmiert ist, mit Hunden zusammenzuleben. Ob Hunde sich evolutionär schon an Stadtwohnungen im 4. Stock mit Parkettböden und Zimmerpalmen angepasst haben, ist fraglich. Wenn es so wäre, benutzten sie vielleicht WCs und es wäre weniger mühsam sie stubenrein zu machen, als Susanne Preusker dies schildert. Allerdings gäbe es dann vielleicht einen hinreißenden Erfahrungsbericht weniger, und das wäre in diesem Fall ein echter Verlust. Denn Susanne Preusker erzählt ihre desillusionierende Auf-den-Hund-gekommen-Geschichte mit erfrischend grimmiger Selbstironie, die etwaigem Zuckerguss keinen Platz lässt. Anschaulich bringt sie ihre anfängliche Überforderung und Unwissenheit aufs Papier, schimpft Emmi kaltschnäuzig eine "Blödbommel" und spricht von ihr als "manipulativem Arschloch". Sie verschweigt weder Wut, noch Angst, Frust oder Tränen, wenn Emmi im Hundekurs nicht an der Leine geht. Schließlich wird die Arbeit mit der Hündin, die einen behördlichen Wesenstest bestehen muss, zur Arbeit an ihr selber, die Entwicklung einer hundgerechten Lebenseinstellung zur Therapie. Und Emmi ist eine erbarmungslose Therapeutin! Die eingangs gestellte Frage über Verlust, Akzeptanz und Neubeginn beantwortet sich in den Fotos. Die tiefe Dankbarkeit, das stille Glück, das dort sichtbar wird, geht zu Herzen. Ob Emmi weiß, was sie getan hat? Wenn ja, war ihr Kampf ein ganz anderer, als man das normalerweise von einem Kampfhund erwartet.
bn.bibliotheksnachrichten
Personen: Preusker, Susanne Scheeben, Mario
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Preusker, Susanne:
Wenn das Glück mit dem Schwanz wedelt : warum Hunde die besseren Therapeuten sind / Susanne Preusker. Mit einem Nachw. von Mario Scheeben. - Ostfildern : Patmos, 2012. - 174 S., [4] Bl. : Ill. (farb.)
ISBN 978-3-8436-0208-2 fest geb. : ca. € 18,50
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