Dass Hildegard von Bingen nach über 840 Jahren nun von Papst Benedikt XVI. zur Heiligen der Universalkirche und darüber hinaus auch zur Kirchenlehrerin erhoben wurde, ist ein Grund zur Freude und Dankbarkeit. Vielleicht spiegelt gerade dies ihre Beharrlichkeit und Ausdauer in der Nachfolge Jesu besonders eindrücklich wider. Neben ihrem immensen Fleiß und ihrer Weisheit (sie hinterließ ein äußerst umfangreiches Werk mit Visionsbeschreibungen, theologischen Schriften, Kompositionen und unzähligen Briefen) ist vor allem Hildegards wertschätzende Sicht auf Gott, Welt und Mensch hervorzuheben: Wir lesen bei ihr kaum etwas über Sühne oder Strafe; sie nahm das Schöne und Wunderbare an der Schöpfung viel ernster als das Hässliche und Beklagenswerte; sie erkannte zwar die menschlichen Schwächen, traute aber sowohl sich selbst als auch ihren Zeitgenossen und Wegbegleiterinnen erstaunlich viel Großes und Gutes zu. So unterstreicht ihr Leben auf sehr glaubwürdige Weise die Worte von Psalm 8: "Herr, unser Herrscher, wie gewaltig ist dein Name auf der ganzen Erde; über den Himmel breitest du deine Hoheit aus. (Vers 2) Du hast ihn [den Menschen] nicht viel geringer gemacht als Gott, hast ihn mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt." (Vers 6) Wer Hildegard einen Hang zur Esoterik und zum Irrationalismus vorwirft, übersieht, dass sie ihre Visionen oft überraschend und stets bei völlig wachem Bewusstseinszustand erlebte: ein in der Kirchengeschichte außergewöhnliches Phänomen. Zum anderen zeugen ihre theologischen Schriften von einer Schärfe und Klarheit im Denken und Argumentieren, die den Texten ihrer Zeitgenossen Peter Abealard und Bernhard von Clairvaux durchaus ebenbürdig ist.
Der Informationsteil des Heftes beginnt mit dem Grußwort, das Herr Erzbischof Dr. Robert Zollitsch am 7.10.2012, dem Tag der Erhebung Hildegards zur Kirchenlehrerin, anlässlich des Empfangs der Deutschen Bischofskonferenz in Rom gesprochen und uns dankenswerterweise für den Abdruck zur Verfügung gestellt hat. Ein ausführliches Interview mit Schwester Philippa Rath, Geschäftsführender Vorstand des Klosters St. Hildegard in Eibingen, schließt sich an. Darauf folgen Erklärungen von Sabine Pemsel-Meier zur Selig- und Heiligsprechung. Danach gibt Barbara Beuys, Autorin der Hildegard-Biographie Denn ich bin krank vor Liebe, einen Gesamtüberblick über Leben und Werk der Seherin vom Rhein. Von Grundprinzipien des geistlichen Wegs der Kirchenlehrerin und deren fortwährende Bedeutung für heutiges Christsein setzt der Aufsatz der Benediktinerin Cäcilia Bonn in Kenntnis. Barbara Stühlmeyers Beitrag führt in das kompositorische Schaffen Hildegards ein und weist auf besonders empfehlenswerte CD-Einspielungen hin. Heinrich Schipperges stellt die Bedeutung der Heilkunst in Hildegards Leben als eines ihrer wichtigsten Vermächtnisse heraus, wobei deutlich wird, dass hierbei immer der ganze Mensch Beachtung erfährt und nicht nur sein Leib. Den drei Frauen, die vor der Äbtissin vom Rupertsberg zu Kirchenlehrerinnen ernannt worden sind (Katharina von Siena, Teresa von Avila und Theresia von Lisieux) widmet sich der Textbeitrag von Christian Feldmann. Die meditative Bildbetrachtung von Hans-Walter Nörtersheuser über eine der bekanntesten Visionen Hildegards schließt den Informationsteil des Heftes ab.
Ein Textbeitrag von Katrin Bederna über das Phänomen der Mystik und ihre religionspädagogische Gegenwartsbedeutung eröffnet den Materialteil der Publikation. Anschließend befasst sich Alexander Weihs mit der Notwendigkeit und Grenze einer Didaktik des Modelllernens, die sich an Biographien von Heiligen und Vorbildern orientiert und stellt Bezüge zu den Bildungsplänen der einzelnen Schularten her. Unmittelbar auf den Religionsunterricht bezogen sind die darauf folgenden Lernimpulse für Grund-, Haupt-/Werkreal-, Real- und Sonderschulen. Diese fassen zunächst das Leben der heiligen Hildegard in Wort, Bild und Rätselformen zusammen. Es folgen Zitate Hildegards (vor allem aus ihren Gebeten) mit Unterrichtsideen und didaktisch-methodische Hinweise zum Malen nach Hildegards Kompositionen. Danach werden Unterrichtsanregungen zur zentralen Bedeutung der "Grünkraft" in Hildegards Schaffen vorgestellt (Erkundungsgänge in die Natur und Anlegen eines Schulgartens). Weiterhin hat Heike Helmchen-Menke einen Pfingstgottesdienst für Kinder im Grundschulalter zum Thema "Hildegard von Bingen" ausgearbeitet. Das Heft schließt mit Hinweisen auf DVDs und Printmedien zu der Seherin und Kirchenlehrerin vom Rupertsberg.
Aufgrund der Gefährdung der Schöpfung im Atomzeitalter und der zunehmend skeptischen Einschätzung des Menschen in den meisten Weltanschauungen der letzten anderthalb Jahrhunderte ist gerade die Theologie und Anthropologie Hildegards im wahrsten Sinne des Wortes notwendig, indem sie uns im festen Vertrauen auf Gottes stärkenden Beistand Perspektiven einer menschenwürdigen Zukunft eröffnet. Dies ist auch Absicht und Zweck der vorliegenden Publikation.
Serie / Reihe: I&M
Personen: Gottschlich, Josef
Um/Heil/Sek 05
Gottschlich, Josef:
Hildegard von Bingen - Ausgabe 03/2012 : Theologische, didaktische und spirituelle Impulse. - 1. Auflage. - Freiburg : Institut für Religionspädagogik, 2012. - 105 Seiten : Illustrationen; Farbfotos; Notenbeispiele. - (I&M; 03/2012)
kartoniert : 9,00 EUR
Unterrichtsmaterial Heilige Sekundarstufe - Zeitschriftenheft