Seit dem Umzug fühlt sich Mafalda oft einsam. Ihre Stiefmutter mag sie nicht und ihr Vater ist ständig beruflich unterwegs. Mafalda findet Trost im verwilderten Nachbargarten. Dort scheint ein seltsames magisches Wesen zu hausen, das die Nachbarin ein »Freu« nennt. Als ihr Vater ihr eines Tages einen Fortunator schenkt, eine Brille, die »glücklich macht«, ist Mafalda zunächst begeistert. Zusammen mit einem niedlichen Kätzchen erlebt sie lustige Abenteuer in virtuellen Realitäten. Doch bald erkennt Mafalda, dass die Menschen nicht glücklicher werden, wenn sie die Wirklichkeit nicht mehr sehen können. Gemeinsam mit dem Freu nimmt sie den Kampf gegen die übermächtige True Happiness Corporation auf ... 1. Mafalda Mafalda saß an ihrem Schreibtisch und hatte das Matheheft vor sich aufgeschlagen. Doch statt sich mit den Hausaufgaben zu beschäftigen, blickte sie aus dem Fenster. Ihr Zimmer lag im ersten Stock des neuen Hauses. Über dem Bett gab es eine schräge Wand, was Mafalda sehr gemütlich fand, und das doppelflügelige Fenster über ihrem Schreibtisch bot einen Ausblick in den Garten. Sie wusste, dass ihr Vater diesen Raum für sie ausgesucht hatte, um ihr eine Freude zu machen, und das stimmte sie traurig. Denn sie freute sich kein bisschen, dass sie jetzt hier lebte. Viel lieber wäre sie in ihrem engen Zimmer in der kleinen Wohnung geblieben, in der sie bis vor zwei Monaten gelebt hatte. Die hatte zwar keinen eigenen Garten gehabt, sondern nur einen schmalen Balkon. Aber dafür hatte es einen kleinen Lebensmittelladen unten im Haus gegeben, den Mafalda geliebt hatte, weil tagsüber immer frische, bunte Früchte in den Kästen vor dem Schaufenster lagen und es so schön nach Süden duftete. Und vor allem hatte sie die anderen Menschen im Haus gekannt - den netten Herrn Braukmann, einen pensionierten Lehrer, der mit seinem Dackel Leopold in der Wohnung über ihnen gewohnt und der Mafalda manchmal bei den Hausaufgaben geholfen hatte, oder die dicke Frau Kaspers mit den niedlichen Babyzwillingen. Ganz besonders vermisste Mafalda ihre Freundin Mareike aus dem Nachbarhaus. Der Regen prasselte gegen die Fensterscheiben. Prasseln, das war ein interessantes Wort. Es klang so ähnlich wie das Geräusch, das die Tropfen machten, aber irgendwie anders. Mafalda überlegte, welches Wort das Geräusch noch besser wiedergegeben hätte. Trommeln? Nein, Trommeln klangen lauter und dumpfer. Eher war es ein Prabbeln oder Prappeln. Oder, noch besser, ein Proppeln. Ja, der Regen proppelte eindeutig gegen die Fensterscheibe. Eine kleine Stimme in Mafaldas Hinterkopf wies sie darauf hin, dass sie sich lieber mit den Hausaufgaben beschäftigen sollte, statt aus dem Fenster zu starren. Aber die Regentropfen waren hundertmal interessanter als Bruchrechnung. Andererseits würde ihre Stiefmutter Eva bald kommen und kontrollieren, wie weit sie war. Und wenn dann das Blatt immer noch leer war, würde sie wieder Ärger bekommen. Wieder andererseits würde sie sowieso Ärger mit Eva bekommen, wenn nicht wegen der Mathe-Hausaufgaben, dann weil ihr Zimmer unordentlich war. Oder weil sie sich die Haare nicht gekämmt hatte oder weil sie ihren Pullover nicht richtig zusammengelegt hatte oder weil sie die Schuhe nicht ordentlich sauber gemacht hatte, bevor sie das Haus betrat. Oder, oder, oder. Mafalda seufzte und starrte auf das Blatt. Sie hatte die erste Aufgabe abgeschrieben, bevor der prasselnde, nein, proppelnde Regen sie abgelenkt hatte.
Personen: Olsberg, Karl
Olsberg, Karl:
¬Das¬ Freu : Wahres Glück findest du nur in der Wirklichkeit / Karl Olsberg. - 1. - Rheda-Wiedenbrück : Bertelsmann, 2020. - S. 310
ISBN 978-3-492-70538-7 12,00
III J 0 - Signatur: III J 0 Ols - Belletristik Kinder