Seit etwa einem Jahrhundert pflegt Japan anläßlich der Erziehungsreformen immer wieder das Losungswort "Vervollkommnung der Individualität" ins Zentrum zu rücken. Dieses Losungswort erlaubt in der Regel keinen Raum für Widerstand. Die Individualität erzwingt die bedingungslose Anerkennung ihres erzieherischen Wertes, ohne eine Überprüfung ihrer Substanz zuzulassen. Das Interesse an der Individualität war in Japan ursprünglich mit dem Demokratiegedanken eng verbunden. Die Erziehungsreformen unter dem Banner der Individualität tendieren jedoch vornehmlich in eine demokratiefeindliche Richtung. Zu Beginn dieses Jahrhunderts trat die Reformpädagogik zum ersten Mal für die "Vervollkommnung der Individualität" ein, und stärkte in Wirklichkeit das totalitäre Kaisersystem. In der gegenwärtigen Reform nimmt die "Vervollkommnung der Individualität" die zentrale Stelle ein, und leistet der Vermarktung der Erziehung Vorschub. Die Diskrepanz zwischen dem Losungswort und dem Ergebnis weist auf das ungeradlinige Verhältnis der Reformabsicht zum Wesen der Individualität hin.
Enthalten in:
Zeitschrift für Pädagogik; 1998/Beiheft 38
(1998)
Weiterführende Informationen
Serie / Reihe: Zeitschrift für Pädagogik
Personen: Ito, Toshiko
Ito, Toshiko:
¬Die¬ Vervollkommnung der Individualität : Erziehungsideal und Reformabsichten in Japan / Toshiko Ito, 1998. - S.225-238 - (Zeitschrift für Pädagogik) Bildung, Öffentlichkeit und Demokratie
Zeitschriftenartikel