Das alte Israel kennt wie fast alle Kulturen der Welt ein Ordnungssystem, das als Rein-unrein- Paradigma bezeichnet werden kann. In ihm geht es um Speisen, Körperzustände, Geschlechterverhältnisse, Lebenspassagen u. a. und ihre Auswirkungen auf die Kultfähigkeit der Menschen. Die kulturanthropologische Forschung seit W Robertson Smith über Mary Douglas bis zu Julia Kristeva zeigt, dass eine wesentliche Funktion dieses Paradigmas die Konstruktion von Identität für die betreffende Kultur ist. Im nachexilischen Israel, wo solche Identität ihre Selbstverständlichkeit verloren hat, entsteht ein heftiger Diskurs über das Rein-unrein-Paradigma. Dabei werden zum einen die Reinheitsvorstellungen schriftlich fixiert. Zum andern aber ist umstritten, was diese identitätsstiftenden Vorstellungen für das Verhältnis zu dem Fremden und den Fremden bedeuten: Fordern sie Absonderung um der Wahrung der Identität Israels willen, oder ermöglichen sie weite Offenheit um der Universalität JHWHs willen, die für Israels Identität konstitutiv ist? Wegen ihres identitätsstiftenden Charakters sind Vorstellungen aus dem Rein-unrein-Paradigma auch in der gegenwärtigen Gesellschaft von hoher Relevanz.
Enthalten in:
Evangelische Theologie; 2008/6 Zweimonatsschrift
(2008)
Serie / Reihe: Evangelische Theologie
Personen: Kessler, Rainer
Kessler, Rainer:
Identität und Fremdheit und das Rein-unrein-Paradigma / Rainer Kessler, 2008. - S.414-429 - (Evangelische Theologie) Kulturanthropologische Exegese
Zeitschriftenartikel