Ludwig Duncker bearbeitet ebenfalls ein spannungsreiches Verhältnis, wenn er Perspektivität und Erfahrung dialektisch zueinander in Beziehung setzt. Er beleuchtet kritisch die Grenzen des Erfahrungsbezuges, der dazu verleiten könne, die Welt allein aus der Perspektive persönlicher und subjektiver Erfahrung zu betrachten, während Bildung immer auch heiße, von sich selbst absehen zu lernen. Nur in der Distanz zur Alltagserfahrung könne Lernen emanzipatorische Gehalte freisetzen - insofern müsse Unterricht zu einer Art Bühne des Nachdenkens und der spielerischen Erprobungg unterschiedlicher Sichtweisen von Wirklichkeit werden, die es erlauben, Fremdes und Neues zu erschließen, das eben nicht im Horizont individueller Erfahrung steht. Eine Didaktik der Perspektivenvielfalt müsse deshalb sekundäre Ordnungen einer durch Wissenschaft, Ökonomie und Politik geprägten Wirklichkeit einbeziehen und jeweils unterschiedliche Facetten und Kontexte näher beleuchten, also Komplexität erreichen, die den individuellen Erfahrungsbezug übersteigt. Gleichzeitig müsse dabei der Konstruktcharakter des Wissens durchschaubar werden und Imaginationen ermöglichen, nicht nur darüber, wie die Welt ist, sondern auch, wie sie sein könnte. Beide didaktische Grundorientierungen sieht der Autor in dialektischer Verschränkung: Die aus der Kritik des Erfahrungsbezugs formulierte Didaktik des Zeigens und des Perspektivenwechsels brauche notwendig als Korrektiv wiederum den Bezug zur Erfahrung und zum Handeln, wenn man nicht in Relativismus verfallen wolle, der nichts mehr über die Wirklichkeit aussagt.
Enthalten in:
Die Deutsche Schule; 1999/Beiheft 5 Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, Bildungspolitik und pädagogische Praxis
(1999)
Serie / Reihe: Die Deutsche Schule
Personen: Duncker, Ludwig
Duncker, Ludwig:
Perspektivität und Erfahrung : Kontrapunkte moderner Didaktik / Ludwig Duncker, 1999. - S.44-57 - (¬Die¬ Deutsche Schule) Neue Wege in der Didaktik?
Zeitschriftenartikel