Im eröffnenden Abschnitt (I) wird aus wissenschafts-, gesellschafts- und problemgeschichtlichen Gründen zu erklären versucht, warum Religion in der Pädagogik seit den 60er Jahren fast gar nicht mehr thematisiert wird, es sei denn, die Doppelfrage nach Zusammenhang und Einheit der Pädagogik und nach ihrer Beziehung zur gesellschaftlichen Gesamtpraxis holt die Erziehungswissenschaft ein und führt die individuelle und kulturelle Funktion von Religion wieder vor Augen. Im Rückgang auf den neuzeitlichen Prozeß der gesellschaftlich-kulturellen Ausdifferenzierung legt der zweite Abschnitt (II) nahe, die christliche Religion nicht pauschal zu beurteilen sondern ebenfalls in ihrer geschichtlichen Ausdifferenzierung als kirchliches, gesellschaftliches und persönliches Christentum wahrzunehmen (so schon Rousseau und Pestalozzi) sowie bestimmte Grundmotive pädagogischen Denkens seit der Aufklärung in ihrem dialektischen Verhältnis zur voraufgehenden christentumsgeschichtlichen Entwicklung (Pietismus) einschließlich der biblischen Ursprünge zu begreifen. Vorbereitet durch reformatorische Unterscheidungen gelingt es Schleiermacher, die moderne Differenzierung wissenschaftstheoretisch so zu berücksichtigen, daß Theologie und Pädagogik nicht einander subordiniert werden und religiöse Bildung als eigenständiges Thema hier wie dort behandelt wird (III). Die Ergebnisse werden im Schlußabschnitt (IV) präzisiert und entfaltet. Hierbei wird klargestellt, daß die vertretenen Ansichten nicht ein überall geteiltes Selbstverständnis der Pädagogik und der Evangelischen Theologie spiegeln. Gegenüber Mißverständnissen wird herausgearbeitet, daß jede Verständigung zwischen Pädagogik und Theologie unter dem Prinzip der uneingeschränkten Achtung vor den bestehen bleibenden Differenzen zu suchen ist.
In the opening section (I), the author attempts a historical explanation of the fact that, since the 1960s, religion has hardly been dealt with in pedagogics and, if so, only when the twofold question of the coherence and unity of pedagogics and its relation to the overall social practice caught up with educational science and reminded us of the individual and cultural function of religion. Referring to the modern process of socio-cultural differentiation, the author then (II) suggests to refrain from passing a sweeping judgement on Christian religion but rather to perceive it, too, in its historical development as ecclesiastical, social, and personal Christianity (just as Rousseau and Pestalozzi did before) and to conceive certain basic motives of pedagogical thought since the Enlightenment in their dialectical relation to the preceding development in the history of Christianity (Pietism), including biblical origins. On the basis of reformatory distinctions, Schleiermacher is able to show that theology and pedagogics are not subordinated to one another and that religious education is considered an independent topic in both fields (III). In a final part (IV), the results are specified and enlarged upon. In this, it is made clear that the view the author has taken does not reflect a common self-concept shared by the whole of pedagogics and of Protestant theology. In order to avoid misunderstandings, it is shown that the discourse between pedagogics and theology has to be based on the principle of unrestricted respect for the persisting differences.
Enthalten in:
Zeitschrift für Pädagogik; 1992/2
(1992)
Weiterführende Informationen
Serie / Reihe: Zeitschrift für Pädagogik
Personen: Nipkow, Karl Ernst
Nipkow, Karl Ernst:
Religion in der Pädagogik? / Karl Ernst Nipkow, 1992. - S.215-234 - (Zeitschrift für Pädagogik) Religion und Pädagogik
Zeitschriftenartikel