Wir leben nicht nur in einer multikulturellen, sondern auch in einer multireligiösen Gesellschaft. Das ist keine sozialstatistische Aussage, sondern eine psychologische, da die formelle Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft die Vielfalt der subjektiven Religionen, Abweichungen, Mischungen nicht erfassen kann. Wir leben zudem mehr und mehr in einer areligiösen Gesellschaft, in einer "religionsfreundlichen Gottlosigkeit", wie der Untertitel des Bundeskongresses 2004 signalisiert. Nichtsdestoweniger geht die Sozialwissenschaft davon aus, dass die Gefahr eines "Clash of Cultures" (Huntington) besteht, eines Kampfes der Kulturen gegeneinander, der u. U. auch dadurch provoziert wird, dass eine der Religionen einen Herrschaftsanspruch über andere erhebt oder ihren missionarischen Eifer stärker demonstriert als andere Religionen. Die multireligöse Gesellschaft fordert die eigene Religiosität heraus, zwingt zu einer Einordnung in die Palette möglicher Religionen, möglicherweise auch zu einem konflikthaften Verdrängungsprozess der Religionen untereinander der mit Diskriminierungen, Vorurteilen und Stereotypen ausgetragen werden kann und deshalb die Balance einer Gesellschaft stört. Die aktuellen Vorfälle in den Niederlanden im Anschluss an die religiös motivierte Erschießung von Theo van Gogh zeigt, wie brisant das Thema sein kann. Für einen psychologischen Zugriff zur Thematik, die ja von dem individuellen Erleben der Welt und der Gesellschaft ausgeht, ergeben sich hieraus ernst zu nehmende wissenschaftliche Fragen. Andere Religionen, so könnte eine Frage lauten, stellen eine Herausforderung für die eigene Glaubenswahrheit. Sind sie deswegen ungelitten, weil sie auf existenzielle Grundfragen andere Antworten, andere Lehren präsentieren? Oder aber handelt es sich hier um einen banalen Ingroup-/Outgroup-Konflikt zwischen "uns" und den "Anderen", der sich an allen Ecken und Enden der Welt und Gesellschaft immer wieder zeigt? Die Frage ist, ob die multireligiöse Gesellschaft vor einem "Clash of Cultures" steht und ob dieses sozial psychologische Paradigma auf das Verhältnis der Religionen im 21.Jahrhundert zutreffend sein kann. Auf die Frage wird hier - für Religionswissenschaftler möglicherweise immer noch etwas gewöhnungsbedürftig - mit empirischen Daten von Umfragen bei Schülern und Studenten bzw. Polizisten und anderen Berufsgruppen geantwortet. Es wird in einem ersten Teil versucht, Antworten über Umfragedaten zu gewinnen, ehe in einem zweiten Teil drei typische sozialpsychologische Erklärungsansätze für das Verhältnis zwischen Gruppen und Kategorien angeboten werden (eine "Kategorie" ist etwa eine Menschengruppe, "die Deutschen", "die Türken", aber auch "die Katholiken" oder "die Protestanten"). In einem dritten Teil werden die Folgen für das Lehrerverhalten im Unterricht verdeutlicht.
Enthalten in:
rhs-Religionsunterricht an höheren Schulen; 2005/1 Zeitschrift des Bundesverbandes der katholischen Religionslehrer und Religionslehrerinnen an Gymnasien e.V.
(2005)
Serie / Reihe: rhs-Religionsunterricht an höheren Schulen
Personen: Dollase, Rainer
Dollase, Rainer:
Christen, Atheisten, Muslime : wechselseitige Wahrnehmungen im Spiegel empirischer Untersuchungen / Rainer Dollase, 2005. - S.15-23 - (rhs-Religionsunterricht an höheren Schulen) Religionsfreundliche Gottlosigkeit
Zeitschriftenaufsatz