Schüler*innen, die deutliche Lernrückstände aufweisen, kann in Deutschland ein "sonderpädagogischer Unterstützungsbedarf im Lernen" (SPU-L) zugeschrieben werden. In allen Bundesländern wird mit dieser individuumsbezogenen Kategorie zieldifferente Unterrichtung für das betreffende Kind ermöglicht. Aktuelle Studien lieferten Hinweise darauf, dass referenzgruppenbezogene Einflüsse analog zu jenen bei der schulischen Leistungsbeurteilung auch in den Vorschlag zur Überprüfung eines Kindes auf einen SPU-L mit eingehen. Zugleich ist von Einflüssen weiterer, für die Unterrichtsdurchführung relevanter Merkmale von Schulklassen auszugehen. In der vorliegenden Studie wurde daher der Frage nachgegangen, inwiefern Merkmale der Leistungsverteilung sowie Verhaltens- und Hintergrundmerkmale von Schulklassen mit der Wahrscheinlichkeit eines festgestellten SPU-L zusammenhängen. Datengrundlage bildete eine aus dem IQB-Bildungstrend 2016 gewonnene Analysestichprobe von 10.398 Kindern aus 543 Klassen, in welchen 561 Schüler*innen mit SPU-L inklusiv unterrichtet wurden. Anhand logistischer Mehrebenen-Regressionsanalysen zeigte sich, dass verschiedene Kompositionsmerkmale von Schulklassen in Zusammenhang mit der Wahrscheinlichkeit stehen, einen SPU¿L aufzuweisen. Als zentrale Prädiktorvariable auf Gruppenebene erwies sich die mittlere fachliche Kompetenz einer Schulklasse. Die Wahrscheinlichkeit, bei gleichen individuellen Leistungen einen SPU¿L aufzuweisen, war bei höheren mittleren fachlichen Leistungen einer Klasse erhöht. Einen zusätzlichen Erklärungsbeitrag lieferte der Anteil an Schüler*innen mit festgestelltem SPU im Bereich emotionale und soziale Entwicklung (SPU-ESE). Ein höherer Anteil von Kindern mit festgestelltem SPU-ESE in einer Klasse hing mit einer geringeren Chance auf das Vorliegen eines SPU¿L zusammen. Insgesamt weisen die gefundenen Zusammenhänge erneut darauf hin, dass der SPU¿L, entgegen seiner Intention, eine von schulischen Kontextfaktoren abhängige Kategorie ist. Es ergeben sich weitere Forschungsfragen sowie Hinweise auf Möglichkeiten zur Verbesserung der Diagnostik.
In Germany, pupils with significant learning difficulties in several subjects can be classified as having "special educational needs in learning" (SEN-L). This individually ascribable category is understood as independent of school-related contextual factors and allows for curricular adaptations. Recent studies have shown that achievement-related reference group effects might impact the proposal of whether a child is to be assessed for SEN¿L. In addition, behavioural and background characteristics of school classes¿ composition could also influence this proposal. Therefore, the present study investigated the extent to which the distribution of achievement and other teaching-relevant aspects of school classes are related to the likelihood of being labelled with SEN¿L. Based on nationally representative data from the IQB Trends in Student Achievement 2016, an analytic sample of 10,398 children from 543 classes was used, in which 561 pupils with SEN-L were taught inclusively. Using logistic multilevel regression analyses, we showed that the most predictive variable at the group level was the average subject achievement of a school class. Given the same individual achievement, the likelihood of being labelled with SEN-L was increased with higher mean subject achievement on the class level. Moreover, a higher proportion of pupils with an identified SEN in emotional and social development per school class was associated with a decreased likelihood of being labelled with SEN¿L. Overall, the found associations again indicate that the SEN-L-label is, contrary to its intention, to a practically relevant amount dependent on school-related contextual factors. Further research questions and possibilities for improving diagnostics arise.
Enthalten in:
Zeitschrift für Erziehungswissenschaft; 2024/5
(2024)
Weiterführende Informationen
Serie / Reihe: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft
Personen: Koßmann, Raphael Kölm, Jenny Gresch, Cornelia
Koßmann, Raphael:
¬Der¬ "Fingerzeig" der Lehrkraft : Zusammenhänge zwischen Leistungs- und Verhaltensmerkmalen von Schulklassen und dem Vorliegen eines sonderpädagogischen Unterstützungsbedarfs im Lernen / Raphael Koßmann ; Jenny Kölm ; Cornelia Gresch, 2024. - Seite 1281-1303 : Diagramme - (Zeitschrift für Erziehungswissenschaft)
Zeitschriftenaufsatz