Das zum geflügelten Wort gewordene "Auge für Auge, Zahn für Zahn" aus 2. Mose 21,24 (vgl. auch 3. Mose 24,17-22) gilt bis heute und nicht zuletzt in den Medien als ein barbarisches Rache- oder Vergeltungsethos. Es wird mit Entrüstung zitiert, um eine als unangemessen und masslos angesehene Reaktion auf einen Angriff zu entlarven. Zuletzt wurde dieses Schlagwort wieder in der Kritik an den amerikanischen Massnahmen nach dem 11. September 2001 laut. Stereotyp wird dieser Vorwurf seit Jahren auch gegenüber Israel erhoben. Gerne bezeichnet man dann auch das "Auge für Auge" mit dem Attribut "alttestamentarisch", was heissen soll: Wer sein Verhalten an diesem Prinzip orientiert, folgt einem archaischen Ritual, das in die Moderne nicht passt. Und zumindest im Hintergrund spielt oft mit, dass Jesus in der Bergpredigt dem "Auge für Auge, Zahn für Zahn" die selbstredend für humaner gehaltene Weisung entgegengesetzt habe, dem Bösen nicht zu widerstehen (Mt 5, 38ff.). Ignoriert wird dabei jedoch die herausragende Bedeutung des "Auge für Auge, Zahn für Zahn" in der Geschichte der Humanisierung des Rechts bis heute. Zudem wird dabei auch ungebrochen eine antijüdische Polemik des Christentums weiter tradiert.
Enthalten in:
RL - Zeitschrift für Religionsunterricht und Lebenskunde; 2002/2
(2002)
Serie / Reihe: RL - Zeitschrift für Religionsunterricht und Lebenskunde
Personen: Stegemann, Ekkehard W.
Stegemann, Ekkehard W.:
¬Eine¬ grundlegende Regelung menschlichen Zusammenlebens : wider die Barbarisierung einer eigenen Rechtskultur / Ekkehard W. Stegemann, 2002. - S.3-6 - (RL - Zeitschrift für Religionsunterricht und Lebenskunde) Auge um Auge, Zahn um Zahn
Zeitschriftenaufsatz