Der Aufsatz beschreibt zwei Anhaltspunkt einer emotionsbezogenen Erziehung: Eine Emotion wird als ein bedingt kontrollierbarer Prozeß betrachtet (s. Scherer 1984). Die Kompetenz zur Regulation dieses Prozesses ist sowohl ein Ziel der Entwicklung als auch ein Erziehungsziel. Eine überlegte emotionsbezogene Erziehung findet in einem angenhemen Rahmen satt. Spielen und direkte Übungen können Kindern helfen, emotionales Wissen zu erwerben und in ihrem Alltag anzuwenden. Auf die Frage, was Gefühle sind, antwortet ein fünfjähriger Junge mit einer Gegenfrage "Ist das, wenn man schwindelig ist?" Ein Zwölfjähriger spricht von "Empfindungen" und meint auf eine entsprechende Frage, daß er sehr wohl zur gleichen Zeit "innerlich" traurig und "äußerlich" fröhlich sein könne. Das Erscheinungsbild hat also offenbar mehrere Gestalten, und es ist nicht so, daß jüngere und ältere Kinder mit dem gleichen Begriff dasselbe verbinden. Nicht einmal die wissenschaftliche Literatur sagt eindeutig, was "Gefühl", "Emotion", "Affekt" oder ähnliche, oft synonym verwendete Begriffe bedeuten. Einschlägige Arbeiten verzichten deshalb häufig auf eine festlegende Definition, um an deren Stelle verschiedene Aspekte des Gegenstandes herauszuheben (s. z.B. Scherer 1990). Spontan kommen vielleicht vier dieser Aspekte in den Sinn: Mit "Emotion" werden (a) verschiedene Erlebnisqualitäten beschrieben: Freude, Angst, Ärger usw. Wir kennen (b) den Emotionsausdruck. Mimik, Vokalisation sind zum Beispiel bei Trauer und Freude deutlich verschieden. Eine Emotion kann (c) von bestimmten körperlichen Veränderungen begleitet sein, von einem wahrnehmbar veränderten Herzschlag, von Hitzeempfindungen usw. Ein emotionaler Zustand kann (d) auch unter funktionalen Gesichtspunkten gesehen werden, das heißt er dient der Anpassung des Organismus an seine Umwelt. Bisweilen wird die Energie aktiviert, was uns helfen kann, Anforderungen besser zu meistern. Werden Emotionen in dieser Breite gefaßt, dann ist es nicht übertrieben, sie fast überall i Leben zu entdecken. Wie aber entstehen emotionale Zustände, und wie werden sie reguliert? Wie lernen Kinder etwas über gefühlsmäßige Vorgänge bei sich und anderen kennen? Das sind zwei Fragekomplexe. Das Anliegen dieses Beitrages besteht nun darin, beide Komplexe auf geläufige Begriffe in der Pädagogik bei Verhaltensstörungen anzuwenden; hier lesen wir etwa "psycho-emotionale Entwicklung", "emotionales Lernen" oder "emotionale Störung". Da wir es mit einem vage definierten Gegenstand zu tun haben, soll es weniger um einen klar umrissenen pädagogischen Ziel- und Maßnahmenkatalog gehen, sondern um Anhaltspunkt für eine emotionsbezogene Erziehung.
Enthalten in:
Sonderpädagogik; 1995/4 Vierteljahresschrift über aktuelle Probleme der Behinderten in Schule und Gesellschaft
(1995)
Serie / Reihe: Sonderpädagogik
Personen: Ostermann, Jürgen
Ostermann, Jürgen:
"Emotional" - was bedeutet das? : Anhaltspunkte für eine emotionale Förderung von Kindern und Jugendlichen in Erziehungshilfe / Jürgen Ostermann, 1995. - S.206-213 - (Sonderpädagogik)
Zeitschriftenaufsatz