Das lernt der evangelische Theologe, der ein Franziskusbuch geschrieben hat, schnell: Franziskus ist im mentalen Haushalt der katholischen Glaubensgeschwister präsent - als Mittelpunkt vieler einzelner Erzählungen und als individuell verehrtes und angeeignetes Vorbild. Davon wird mir erzählt, wenn ich in katholischen Bildungshäusern Vorträge zum Thema halte, und damit muss ich umgehen, wenn ich als evangelischer Theologe, der sich in der Hochachtung für den Poverello in ökumenischer Gemeinschaft weiß, doch auch Historiker bin. Die wunderschöne Erzählung vom Wolf von Gubbio etwa, derzufolge Franziskus einen reißenden Wolf zähmte, findet sich erst in der späten volkssprachlichen Überlieferung der Fioretti. Sie mag sich aus der deutlich älteren Erzählung entwickelt haben, dass Franz die Stadt Greccio vor wilden Wölfen rettete - aber auch diese Genese unterstreicht eher, dass sie nicht zu dem gehört, was man redlich vom Leben von Franziskus erzählen kann. Dabei geht es nicht darum, die Möglichkeit von Wundern einfach aufgrund moderner Wirklichkeitsvorstellungen auszuschließen. Sondern es geht um eine äußerst komplexe, für den Biographen schwer zu beherrschende Quellenlage.
Enthalten in:
entwurf; 2020/4 Konzepte, Ideen und Materialien für den Religionsunterricht
(2020)
Personen: Leppin, Volker
Leppin, Volker:
Franz von Assisi : Annäherungen an einen bekannten Unbekannten / Volker Leppin, 2020. - Seite 8-11 Franziskus von Assisi
Zeitschriftenaufsatz