Sarimski, Klaus
Psychologische Aspekte des fra(X)-Syndroms
Zeitschriftenaufsatz

Das fra(X)-Syndroms stellt die - nach dem Down-Syndrom - zweithäufigste genetische Ursache für eine mentale Behinderung dar. Die betroffenen Kinder zeigen spezifische Entwicklungsverläufe und Profile in ihren kognitiven Fähigkeiten. Sequentielle Verarbeitungsprozesse, wie sie bei alltäglichen Handlungsplanungen, aber auch beim Rechnen gefordert sind, bereiten ihnen besondere Schwierigkeiten. Polternde Sprechweisen und die Neigung zur Wiederholung einzelner Äußerungen ohne Bezug zum Beitrag des Gesprächspartners sowie geringe Fähigkeit zur Konzentration und Selbstorganisation gehören zu den charakteristischen Merkmalen, um die der Sonderpädagoge wissen sollte, um Förderung und unterricht auf die besonderen Bedürfnisse der Kinder abstimmen zu können. Das fra(X)-Syndrom ist gekennzeichnet durch typische Dysmorphiezeichen (u.a. überstreckbare Gelenke, Vierfingerfurche, lange Ohren und Gesichtsform), eine Lern- oder geistige Behinderung und charakteristische Merkmale der Sprache und des Verhaltens der Kinder (v.a. Impulsivität und Unruhe). Die Diagnose wird cytogenetisch gesichert durch Nachweis einer Konstriktion am langen Arm des x-Chromosoms bei einer speziellen Chromosomenuntersuchung. Die Entwicklungsverzögerung betrifft überwiegend Jungen; wenn Mädchen betroffen sind, sind die Entwicklungs- und Verhaltensprobleme in der Regel weniger ausgeprägt. Mütter können einen Überträgerinnenstatus haben, ohne selbst von der Mutation betroffen zu sein. Auf die Besonderheiten des rezessiven Vererbungsmechanismus kann hier nicht eingegangen werden. Für den Sonderpädagogen ist die Diagnose von besonderer Bedeutung. Erstens stellt das fra(X)-Syndrom die - nach dem Down-Syndrom - zweithäufigste genetische Ursache für eine mentale Behinderung dar. Die Auftretenshäufigkeit wird mit 1:1000 geschätzt. Es muß daher angenommen werden, daß sich unter denjenigen Schülern an Lern- und Geistigbehindertenschulen, die als Kinder mit "mentaler Behinderung unbekannter Genese" bisher nicht befriedigend diagnostiziert wurden, eine große Zahl bisher unerkannter Jungen und Mädchen mit fra(X)-Syndrom befindet. Zweitens gibt es mittlerweile einige Erfahrungen über spezifische Stärken und Schwächen der kognitiven Fähigkeiten der Kinder, Sprachbesonderheiten und Verhaltensmerkmale, um die der Pädagoge wissen sollte, um sein Verhalten in Förderung und Unterricht auf die besonderen Bedürfnisse dieser Kinder einstellen zu können. Da es im Gegensatz zur englischsprachigen Literatur (u.a. Hagermann & Silvermann 1991; Schopmeyer & Loewe 1992) in Deutschland nur eine Übersichtsarbeit zu psychologischen Aspekten des fra(X)-Syndroms gibt (v. Gontard 1989), sollen Kognition, Sprache und Verhalten dieser Gruppe von Kindern auf dem neusten Erkenntnisstand beschrieben werden.

Enthalten in:
Sonderpädagogik; 1994/4 Vierteljahresschrift über aktuelle Probleme der Behinderten in Schule und Gesellschaft (1994)


Serie / Reihe: Sonderpädagogik

Personen: Sarimski, Klaus

Schlagwörter: Intelligenz Medizin Geistigbehinderter Lernbehinderung Genetik Fragiles-X-Syndrom

Sarimski, Klaus:
Psychologische Aspekte des fra(X)-Syndroms / Klaus Sarimski, 1994. - S.202-212 - (Sonderpädagogik)

Zugangsnummer: U-0143908
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