In einem Mehrebenensystem wie der Europäischen Union werden soziale Konflikte immer auch in territorialen Kategorien ausgetragen. Die erheblichen regionalen Ungleichheiten zwischen Ost- und Westeuropa können daher zu einer gravierenden Beeinträchtigung der politischen Vertiefungsbestrebungen, zu erheblichen zusätzlichen Transferzahlungen oder sogar zu einer Gefährdung weiterer Erweiterungsprojekte führen. Dieses Trilemma von Erweiterung, politischer Vertiefung und Budgetneutralität könnte entschärft werden, wenn eine Polarisierung zwischen ost- und westeuropäischen Interessen entweder durch eine rasche Angleichung an das westliche Wohlstandsniveau (Konvergenz) oder durch eine rasche Differenzierung der individuellen, interregionalen und zwischenstaatlichen Lebens- und Einkommensverhältnisse in Mittel- und Osteuropa unterbunden wird. Die wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahre und die periphere osteuropäische Wirtschaftsstruktur sprechen gegen eine schnelle Angleichung. Gleichzeitig entwickeln sich die Hauptstadtregionen und die westlichen Grenzregionen in Mitteleuropa sehr dynamisch. Es ist daher von einem relativ dauerhaften Wohlstandsgefälle zwischen Ost- und Westeuropa und einer zunehmenden regionalen Differenzierung auszugehen. Abschließend wird die historische Dimension der wirtschaftlichen und politischen Unterschiede zwischen Ost- und Westeuropa herausgearbeitet. Die Dauerhaftigkeit der europäischen Zentrum-Peripherie-Beziehungen spricht gegen eine "Enträumlichung des Sozialen" und für eine nichtidentische, pfadabhängige Reproduktion sozio-territorial verankerter Ungleichheiten und Abhängigkeiten.
In a multi-level system like the European Union, social interests and conflicts are also defined in territorial categories. In this respect, the considerable regional disparities between Eastern and Western Europe may interfere with attempts at intensifying political cooperation within an enlarged European Union. They may give rise to considerable additional transfer payments or even endanger the further enlargement of the EU. This trilemma of enlargement, increased political cooperation and budgetary neutrality can only be overcome, if a polarization between East and West European interests can be avoided by a quick convergence of Eastern und Western performance levels or by a differentiation of the individual, interregional or international employment and income situation in Central and Eastern Europe. The growth rates of recent years and the economic structure of Central and Eastern Europe do not support the thesis of a quick convergence. However, the capital regions and the Western border regions in Central Europe are developing in a very dynamic way. A relatively permanent prosperity gap between Eastern and Western Europe as well as an increased regional differentiation within Central and Eastern Europe is to be expected. Historical dimensions of the economic and political differences between Eastern and Western Europe are analyzed. The relative stability of the European center-periphery structure does no support the thesis of a "deterritorialization" of social relationships. Instead, there is some evidence for a non-identical, path-dependent reproduction of long-established dependency relationships.
Enthalten in:
Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie; 2003/1
(2003)
Serie / Reihe: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie
Personen: Heidenreich, Martin
Heidenreich, Martin:
Territoriale Ungleichheiten in der erweiterten EU / Martin Heidenreich, 2003. - S.1-28 - (Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie)
Zeitschriftenaufsatz