Diehl, Claudia
Zwischen Säkularisierung und religiöser Reorganisation eine Analyse der Religiosität türkischer und polnischer Neuzuwanderer in Deutschland
Zeitschriftenaufsatz

Dieser Beitrag befasst sich mit der Bedeutung von Religion im Prozess der Integration von Einwanderern in Deutschland. Gestützt auf neueste Daten (SCIP 2010/11) einer Befragung unter polnischen und türkischen Neuzuwanderern wird untersucht, welchen Einfluss das Migrationsereignis als solches auf Religiosität ausübt und wie sich religiöse Partizipation und private religiöse Praxis in der Frühphase der Integration verändern. Die Untersuchung bestätigt, erstens, dass beide Gruppen einen markanten Rückgang religiöser Partizipation erfahren. Dass dieser Rückgang bei muslimischen Türken stärker ausfällt als bei katholischen Polen und sich insbesondere beim Kirchgang oder Moscheebesuch, weniger dagegen bei der privaten Gebetspraxis nachweisen lässt, deutet auf die Bedeutung religiöser Opportunitätsstrukturen hin. Zweitens zeigt sich, dass bei den polnischen Neuzuwanderern der Rückgang an Religiosität mit starken Bindungen in die säkulare deutsche Aufnahmegesellschaft verknüpft ist, während dies bei den türkischen Neuankömmlingen nicht der Fall ist. Nur für jene lässt sich, drittens, beobachten, dass dem anfänglichen Einbruch der Religiosität mit dem Aufenthalt in Deutschland ein allmählicher Wiederanstieg folgt. Die Befunde deuten darauf, dass assimilationstheoretische Argumente um Überlegungen zu Dynamiken symbolischer Grenzziehung zu erweitern sind, die gruppenspezifische Muster des Wandels von Religiosität zu erfassen gestatten. Aufgrund solcher komplexer Dynamiken religiösen Wandels im Migrationsgeschehen ist insgesamt damit zu rechnen, dass öffentlich sichtbare religiöse Diversität ein dauerhaftes Merkmal moderner Einwanderungsgesellschaften darstellen wird.
This paper addresses the role of religion in the process of immigrant integration in Germany. Based on novel data (SCIP 2010/11) from a survey among new Polish and Turkish migrants, it particularly focuses on the impact of the migratory event upon religious participation and private religious practice as well as on early trends of changing religiosity in the receiving context. The study confirms, first of all, that both groups of newcomers experience a decrease in religious practices after the migratory event. This decrease is more pronounced among Muslim Turks than among Catholic Poles and more pertinent for worship attendance than for prayer, thus attesting to the relevance of religious opportunity structure. Secondly, it can be shown that among new Polish immigrants, religious decrease is more pronounced among individuals with stronger social ties to the secular German mainstream, while this is not the case for Turks. For them, thirdly, it seems that religious practices are being re-captured after the rather disruptive first couple of months in what may a called a process of religious re-organizations. These group-comparative findings attest to limits of classical assimilation theory and to the relevance of symbolic boundary dynamics. Overall, they underline that publicly visible religious diversity will remain a permanent feature of modern immigrant societies.

Enthalten in:
Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie; 2013/Sonderheft 53 (2013)


Serie / Reihe: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie

Personen: Diehl, Claudia Koenig, Matthias

Schlagwörter: Empirische Untersuchung Religiosität Türken Migration Polen Assimilation

Diehl, Claudia:
Zwischen Säkularisierung und religiöser Reorganisation : eine Analyse der Religiosität türkischer und polnischer Neuzuwanderer in Deutschland / Claudia Diehl ; Matthias Koenig, 2013. - S.235-258 : graph. Darst., Tab. - (Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie) Religion und Gesellschaft

Zugangsnummer: U-0312755
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