Münster, Peter
Albert Schweitzer der Mensch, sein Leben, seine Botschaft
Buch

Peter Münster (geboren 1951), ehemaliger Leiter der Grundschule Rheinfelden (Südbaden), hat eine neue Biographie über den Urwald-Arzt in Lambarene (Gabun) geschrieben. Für Albert Einstein war Schweitzer (1875-1965) „der größte Mensch des 20. Jahrhunderts“. Zumindest aber hat der im Elsass geborene Friedensnobelpreisträger von 1952 die bange Frage Friedrich Hölderlins: „Gibt es auf Erden ein Maß?“ mehr als überzeugend beantwortet – vor allem mit seinem Handeln („Ich bin ein Pessimist der Erkenntnis, aber ein Optimist der Tat“).

Die Biographie ist sehr verständlich geschrieben; auch komplizierte Sachverhalte wie der Ertrag von Schweitzers Promotionen und Habilitationen (in Philosophie, Theologie und Medizin!) werden mit großer Klarheit zusammengefasst und vermittelt. Vor allem für Leser/-innen, die bislang von Leben und Werk des großen Humanisten nichts oder nur wenig wussten, ist die Lektüre und Meditation dieses Buches empfehlenswert. Münsters Biographie ist aber dennoch mehr als nur eine Einführung in Leben und Werk des Urwalddoktors: Sie gibt viele vertiefende Einblicke in Schweitzers Denken und spart auch nicht mit provozierenden Denkanstößen. Das Buch macht schmerzlich bewusst, wie wenig die ethischen Ideale des Nobelpreisträgers bislang auf breiter Basis umgesetzt worden sind.

Die Biographie gliedert sich in drei Teile: Der längste davon erzählt Schweitzers Leben nach, erwähnt dabei die wichtigsten Stationen, Situationen und Begegnungen, ohne sich jemals in Einzelheiten zu verlieren. Bemerkenswert ist, dass der Autor der Kindheit und Jugend Schweitzers besonders viel Raum gibt (das umfangreichste Kapitel der ganzen Biographie!). Dadurch wird deutlich, wie sehr Albert Schweitzers Denken und Tun schon in seinen frühen Lebensjahren grundgelegt wurde, auch bereits durch eigene Einsichten (zum Beispiel dem Entschluss, nicht nur die Mitmenschen, sondern alle Geschöpfe in sein tägliches Abendgebet miteinzubeziehen). Seine zugleich höchst anspruchsvollen, aber auch fürsorglich-mitfühlenden Eltern und Lehrer wiesen ihn den späteren Weg. Vom Vater, einem Pfarrer, behauptet Schweitzer später, er sei zeitlebens sein bester Freund gewesen. – Gerade für Pädagog/-innen ist Peter Münsters Biographie ein sehr hilfreiches Buch, weil es (oft auch indirekt) wertvolle Hinweise für eine gute pädagogische Atmosphäre gibt. Besonders die Erkenntnis Schweitzers, dass die Seele jedes Kindes ein unbedingt zu schützendes Geheimnis berge und niemals zu vorschneller Selbstoffenbarung verleitet werden sollte, ist sehr ernstzunehmen.

Im zweiten Teil wird das Lebenswerk Schweitzers in Lambarene gewürdigt: sein Urwald-Hospital, das er 1913 aufzubauen begann, im Laufe der Zeit immer mehr erweiterte (zum Beispiel durch eine Lepra-Station) und in dem er über 50 Jahre seines Lebens, unterbrochen durch meist nur kurzzeitige Aufenthalte in Europa und Nordamerika, tätig war.

Der vielleicht wichtigste dritte Abschnitt der Biographie fasst die Botschaft Albert Schweitzers zusammen: die Ethik der Mitgeschöpflichkeit (Ehrfurcht vor dem Leben) und seine Mahnung zum Frieden (Appelle zur Abrüstung und Beendigung jeglicher Nuklearwaffen-Versuche). Auch das Schlusswort des Buches („Zur Aktualität Albert Schweitzers“) macht sehr deutlich, wie notwendig die Umsetzung dieser Erkenntnisse und ethischen Grundprinzipien für den Fortbestand eines Lebens in Würde auf der Erde ist, gerade auch im Zusammenhang mit dem von den Kirchen initiierten konziliaren Prozess (Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung). – Schon in jungen Jahren war Albert Schweitzer sich darüber bewusst, dass der Friede fast immer im Inneren und in den kleinen Dingen des Lebens beginnt, Friedfertigkeit bisweilen aber auch Unnachgiebigkeit erfordere: Um der Wahrheit willen dürften Konflikte keinesfalls gescheut werden. Schweitzer, einer der wegweisenden Pioniere der „Leben-Jesu-Forschung“ erkannte zudem: „Auch wenn [die geschichtliche Wahrheit] der Frömmigkeit befremdlich vorkommt und ihr zunächst Schwierigkeiten schafft, kann das Endergebnis niemals Schädigung, sondern nur Vertiefung bedeuten. Die Religion hat also keinen Grund, der Auseinandersetzung mit der historischen Wahrheit aus dem Weg gehen zu wollen.“ In kritischer Konfrontation mit der Eschatologie stellte er fest: „Nicht können wir, wie die Geschlechter vor uns, in dem Glauben an das am Ende der Zeiten von selbst kommende Reich Gottes verbleiben. Für die Menschheit, wie sie heute ist, handelt es sich darum, das Reich Gottes zu verwirklichen oder unterzugehen. Aus der Not heraus, in der wir uns befinden, müssen wir an seine Verwirklichung glauben und mit ihr Ernst machen“.

So beunruhigend Peter Münsters Buch bisweilen auch ist (besonders im Schlusskapitel), verführt es doch niemals zur Hoffnungslosigkeit. Es zeigt wie viel ein einzelner (wenn auch höchst begabter und mit einer außergewöhnlich belastungsfähigen Konstitution ausgestatteter) Mensch erreichen kann – vergleichbar mit Mahatma Gandhi, dem zweiten großen Vorbild des Autors. Somit ist das Buch vor allem eine Ermutigung zur noch konsequenteren und radikaleren Nachfolge Jesu gemäß Mt 10,39 („Wer sein Leben um meinet- und um des Evangeliums willen verliert, wird es gewinnen“). Münster verschweigt aber auch nicht, wie groß der Anteil von Schweitzers Weggefährten, vor allem seiner Ehefrau, der Krankenschwester Helene Bresslau, am Gelingen seines Lebenswerkes gewesen ist. Er erinnert in einem eigenen Kapitel an die Herzlichkeit und den Humor Albert Schweitzers, der ihm oft entscheidend weitergeholfen hat. Dennoch kommt auch Kritisches zur Sprache, etwa die gelegentlichen Temperaments- und Wutausbrüche des Urwaldarztes. Insgesamt aber wird in dieser Biographie, die in einer bemerkenswert schönen, bisweilen fast poetischen Sprache verfasst ist, überaus deutlich, wie sehr die Welt Menschen braucht, bei denen vernünftiges Denken und wirksames Handeln in solch hohem Maße zusammenwirken wie bei Albert Schweitzer.

Zeitgenossen von heute wie Benjamin Pütter, der sich seit vielen Jahren erfolgreich gegen die Ausbeutung von Kindern als Sklavenarbeiter/-innen in Indien einsetzt, knüpfen an das Beispiel des Nobelpreisträgers an, in mutiger, tatkräftiger und unbeugsamer Verwirklichung einer der wichtigsten Appelle Jesu: „Was ihr einem der geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25,40).
(Rezension von Josef Gottschlich)


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Personen: Münster, Peter

Schlagwörter: Biographie Ethik Afrika Schweitzer, Albert Friedensbewegung Biografie Elsaß Ehrfurcht Lebensbild

H 20.1
SCHWEI
Müns

Münster, Peter:
Albert Schweitzer : der Mensch, sein Leben, seine Botschaft / Peter Münster. - München : Verlag Neue Stadt, 2010. - 253 S. : Ill.
ISBN 978-3-87996-878-7

Zugangsnummer: 0050873001 - Barcode: 01246551
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