Rezension: "Wenn ich mich außerhalb Visibles bewege, stellt sich, oft nur für einen kurzen Moment, das Gefühl ein, dass ich selbst und meine unmittelbare Umgebung die gegenpoligen Teile eines Magneten bilden: Die Welt stößt mich ab."
Außerhalb von Visible - damit meint der Ich-Erzähler Phil außerhalb des alten, unergründlich großen, verwachsenen, verwinkelten, geheimnisvollen, schlossartigen Anwesens, in dem er mit seiner jungen Mutter und seiner Zwillingsschwester Dianne lebt. Hexenkinder nennen die Leute aus dem Dorf die beiden Kinder, die ihnen immer fremd und immer unheimlich bleiben. Mythen ranken sich um die beiden und werden genährt durch jede Auffälligkeit, die man zu beobachten glaubt. In Visible gerinnen die Auffälligkeiten zur Normalität und doch liegen über der Beziehung zwischen Glass und ihren Kinder Schatten: Weiße Schatten auf der Seele nennt Kat, Phils Lebensfreundin, diese Erscheinungen und spürt ihnen mit offenen Fragen nach. Phil jedoch kann Dinge nur erahnen: Seine Wahrnehmungen führen immer wieder zu Erinnerungen an Personen und Erlebnisse der Kindheit, so dass sich nach und nach zwei Erzählebenen ineinander schieben und ein komplexes Bild geben von dieser seltsamen kleinen Gemeinschaft in Visible, in der jede/r für sich eigenen Vorstellungen vom Leben folgt und erst auf den zweiten Blick wahrnehmbar Unglaubliches daransetzt, von den anderen bemerkt und als fühlender Mensch verstanden zu werden. Sprachlich nimmt Andreas Steinhöfel immer wieder Umwege, umkreist die Beziehungen seiner ProtagonistInnen zueinander durch ruhige, ausformulierte Beschreibungen des sie umgebenden Umfeldes; um dann doch sehr offen und geradlinig das Wesen dieser Beziehungen anzusprechen: So beschreibt er Phils Liebe zu dem Läufer Nicholas, die sich als roter Faden durch den Roman zieht, indem er deren Sexualität direkt anspricht, voyeuristisch an Einzelheiten homosexueller Praktiken Interessierte aber außen vor lässt. Prägend dabei bleibt die Unmöglichkeit, über das körperliche Begehren hinaus dem anderen den je eigenen Wunsch nach Zusammengehörigkeit und die je eigene Art, Vertrauen zu zeigen, klar zu machen.
Personen: Steinhöfel, Andreas
H 20
Stein
Steinhöfel, Andreas:
¬Die¬ Mitte der Welt : Roman / Andreas Steinhöfel. - Hamburg : Carlsen, 1999. - 459 S.
ISBN 3-551-58029-4 36.00 DM
Literatur - Buch