Die DDR hat ihrer Bevölkerung eine Säkularisierung des Glaubens und eine Gleichheitsideologie aufgezwungen. Zusammen sollten diese beiden Merkmale der Sozialverfassung der DDR bewirkt haben, daß Moralität, d.h. moralische Striktheit und moralische Konformität, 1990 in Ostdeutschland höher sind als in Westdeutschland, daß sie sich aber bis 1994 dem westdeutschen Niveau annähern. Die moralische Striktheit wurde 1990 und 1994 durch Bewertungen von 24 Tatbeständen erfragt die sich nach der mutmaßlichen Form ihrer Begründung in einer Polarität zwischen "Wert" und "Reziprozität" anordnen lassen. Die moralische Konformität wurde für 1980, 1990 und 1995 mit entsprechenden Tatbeständen der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik erfaßt. Wie erwartet, sind die moralische Striktheit und die moralische Konformität 1990 in Ostdeutschland höher als in Westdeutschland und fallen bis 1994/1995 annähernd auf westdeutsches Niveau zurück. Die Entwicklungen der moralischen Striktheit und der moralischen Konformität in Ostdeutschland validieren sich gegenseitig und ergeben sich als Nachwirkung der DDR-Sozialverfassung. Der Rückgang der moralischen Striktheit nach der Vereinigung paßt jedoch nicht zu anderen Wertentwicklungen: Insbesondere werden Leistung, Familie und konventionelle Erziehungsziele zwischen 1990 und 1994 in Ostdeutschland konstant höher bewertet als in Westdeutschland. Während diese Werteinstellungen in der Transformation einen neuen Sinn gewinnen, ist die moralische Striktheit, die aus der Anpassung an eine säkularisierte und gleichmacherische Sozialverfassung resultierte, in einer pluralistischen und an Individualität appellierenden Sozialverfassung nicht mehr hilfreich.
Enthaltene Artikel:- Meulemann, Heiner: Die Implosion einer staatlich verordneten Moral
- Sieverding, Monika: Sind Frauen weniger Gesund als Männer?
- Stenger, Horst: Verweigerte Gleichwertigkeit
Serie / Reihe: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie
Personen: Friedrichs, Jürgen (Hrsg.)
Leseror. Aufstellung: Magazin
; 1998/Heft 3; 50(1998). - 50, 1998 - (Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie; Heft 3; 50(1998))
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