Ein opulent erzählter autobiografischer Roman über das spannungsgeladene Verhältnis von Orient und Okzident am Beispiel Algeriens. (DR) Stellung beziehen, darum geht es in Yasmina Khadras Roman mit dem poetischen Titel "Die Schuld des Tages an die Nacht". Der Roman erzählt vom Leid eines besetzten Landes, von der Kraft der Familie und vom algerischen Unabhängigkeitskrieg. Die Hauptfigur Jounes berichtet als alter Mann von seiner Kindheit und Jugend im Algerien der 1930er bis 1960er Jahre. Seine Geschichte ist verwoben mit dem Schicksal des nordafrikanischen Landes, das um die Unabhängigkeit von Frankreich kämpft. Schlussendlich nach 416 Seiten zerbricht der Ich-Erzähler beinahe an der Frage, auf welcher Seite er heute steht. Als Junge entkommt Jounes der bitteren Armut seiner Familie: Ein reicher Onkel nimmt ihn bei sich auf, weil er ihm ein besseres Leben bieten und ihn zur Schule schicken will. Fortan lebt er im europäischen Teil von Oran, später in der Küstenstadt Río Salado. Er lernt den Wert von Bildung kennen und realisiert, wie sehr Kleidung einen Menschen verändert. Er spürt, dass er für viele Europäer stets der verachtenswerte Muslim bleiben wird. Mit dem Tausch seines arabischen Namens gegen das französische "Jonas" droht ihm jedoch seine Identität zu entgleiten. Vor allem aber erzählt er seine tragische Liebesgeschichte, die durchzogen ist von Schuld und der Unfähigkeit, das eigene Glück zu erkennen. Seit seiner frühen Kindheit liebt Jounes die schöne Französin Émilie, die er nach Jahren wieder trifft. Auch sie gesteht ihm ihre Liebe, doch auf dem jungen Mann lastet eine Schuld, die ihn zwingt, sie abzuweisen. Hin- und hergerissen zwischen Liebe und Abweisung, Vertrautheit und Fremdheit sind die beiden zwar seelenverwandt, missverstehen sich aber ein ums andere Mal. "Heute glaube ich, mein Fehler bestand darin, dass ich nicht den Mut hatte, zu meinen Überzeugungen zu stehen", schreibt der Ich-Erzähler rückblickend. Das tragische Fazit eines ängstlichen Lebens ohne wirkliche Leidenschaft. Wer über Algerien wenig weiß, dem gibt der Roman nur einen vagen Einblick in die Geschichte des Landes. Die politischen Geschehnisse bilden stets den Rahmen der Geschichte, auf Erklärungen historischer Zusammenhänge wird weitgehend verzichtet. Einige erläuternde Passagen würden das Verständnis für die Charaktere und ihre Motivation jedoch erhöhen, weshalb auch nach dem wirklich spannend geschriebenen ersten Drittel des Romans das Interesse an der Lektüre merklich schwindet.
Personen: Khadra, Yasmina Keil-Sagawe, Regina
Khadr
Khadra, Yasmina:
¬Die¬ Schuld des Tages an die Nacht : Roman / Yasmina Khadra. Aus dem Franz. von Regina Keil-Sagawe. - Berlin : Ullstein, 2010. - 413 S.
ISBN 978-3-550-08790-5 fest geb. : EUR 19,95
Schöne Literatur - Buch