Ertrinken, um neu zu leben? (TD.D) Große Literatur erweist sich stets als vielschichtig. Nach dem absichtlich in die Irre führenden Klappentext zum Inhalt der 2001 als viertem Werk Kehlmanns erschienenen Novelle nutzt deren Hauptfigur, Julian, einen Badeunfall an einem italienischen See, um seinen eigenen Tod vorzutäuschen und so nach einem bis dato misslungenen ersten Leben einen neuen Anfang zu versuchen, der aber nicht so ohne weiteres gelingt. Angesichts der raffinierten erzähltechnischen Vermischung von Jetzt und Vergangenheit, Realität und Einbildung, Identität und Maske dauert es dann eine ganze Weile, bis man als Hörer den heuristischen Wert eines Zitats aus der Feder des fiktiven Barockdenkers Jerouen Vetering begreift, über den Julian dissertiert hat, dass nämlich "ein Sterbender noch tagelang durch die allmählich unwirklicher werdende Welt seiner Einbildungen irren könne .". Hörbuch Hamburg hat dieses Vexierspiel in gewohnter editorischer Qualität ungekürzt auf 3 CDs vorgelegt, deren Kartonhülle nebst einem irritierenden Spiegelbild auch mit einer Kurzbiografie des Autors und seines Interpreten Matthias Brandt aufwartet. Wie gekonnt der inzwischen 50-jährige Schauspieler und Sohn eines prominenten Politikers mit Kehlmanns Text umgeht, geht daraus freilich nicht hervor, sondern muss er-hört werden: Kein einziger Moment der Unsicherheit in einem Vortrag, der bis zum Schluss packend und doch verhalten gestaltet wird, Dialogisches wie Monologisches gleichermaßen meistert, seinen höchsten Ausdruck dramatischer Verdichtung aber freilich und zu Recht schon kurz nach dem Anfang in der realen - oder vielleicht doch nur vermeintlichen? - Ertrinkensszene findet. *bn* Hugo Kubarth
Personen: Kehlmann, Daniel Osterwold, Margrit Brandt, Matthias
¬Der¬ fernste Ort [Tonträger] : ungekürzte Lesung / Daniel Kehlmann. Gelesen von Matthias Brandt. Regie: Margrit Osterwold. - Hamburg : Hörbuch Hamburg, 2010. - 3 CDs (183 Min.)
ISBN 978-3-89903-278-9 ca. ? 19,95
Signatur: TD.D ferns - Buch