Ein faszinierendes Bild der historischen Entwicklungen von Politik und Gesellschaft im Irak zwischen 1918 und 1980. (DR) Harun Wali, der Ich-Erzähler des Romans, ist 1980 aus dem Irak geflohen und kehrt nach beinahe 30 Jahren Exil in seine Geburtsstadt Amaria im Süden des Irak zurück. Er sei der Einzige, der die Geschichte vom "Engel des Südens" - Malaika-al-dschanub - erzählen könne, das hatten ihm Freunde und Familienmitglieder schon prophezeit, als er in Amaria allen nur als der kleine Junge im Matrosenanzug bekannt war. Das Erzählen von Geschichten, Reflektieren über Wahrheit und Fiktion, die Frage nach dem Wie des Erzählens stehen bereits im einleitenden Kapitel im Mittelpunkt. Ausgehend von Erinnerungen und Bildern, die während seinem Aufenthalt auf dem alten Englischen Friedhof geweckt werden, erzählt Harun Wali die ereignisreiche und spannende Chronik seiner Geburtsstadt Amaria, in deren Zentrum die Geschichte der Freundschaft zwischen Malaika (der Engel des Südens), Tochter eines jüdischen Vaters und einer christlichen Mutter, Al-Malak (Nûr), der der Religionsgemeinschaft der Sabäer angehört, und Naim Abbas, Sohn einer Sabäerin und eines Muslim, steht. Die religiös-ethnische Heterogenität der drei Freunde steht dabei stellvertretend für die entsprechende Vielfältigkeit der Bevölkerung des Iraks vor der Machtübernahme durch die Baath-Partei. Dieses funktionierende Nebeneinander der verschiedensten Ethnien und Religionsgemeinschaften bekam jedoch spätestens ab Anfang der 1940er Jahre erste Risse, als die irakischen Juden zunehmend Repressionen ausgesetzt waren und es 1941 zum ersten großen Pogrom kam. In den darauffolgenden Jahren sahen sich mehr als 100000 irakische Juden aufgrund der unerträglichen Situation im Irak dazu gezwungen, nach Israel/Palästina zu fliehen, viele wurden von der Regierung ermordet. Najem Wali behandelt in seinem Roman historische Fakten und reichert sie gekonnt mit fiktionalen Elementen an. Die Geschichte der irakischen Juden und die folgenschweren Auswirkungen, die die schrecklichen Ereignisse in Mitteleuropa unter dem Terror der Nationalsozialisten und die Gründung des Staates Israel auf sie hatten, dürften heute nur wenig bekannt sein. Walis Blick auf die historischen Entwicklungen bleibt stets ambivalent, Schwarz-Weiß-Malerei wird vermieden. - Empfehlenswert. *bn* Anna Estermann

Personen: Wali, Najem Ahlf-Wien, Imke