Migrationshintergrund und Verwandlungsphantasien. (DR) Wie sollte man nicht an Kafka denken: Da hält sich jemand für ein Wesen halb Mensch, halb Kakerlake. Und nicht nur das: Er benützt auch die Fähigkeiten der Kakerlake, um etwa in fremde Wohnungen einzudringen. Ein "Eindringling" ist er ja auch, der namenlose Immigrant und Ich-Erzähler in Montreal. Nach einem missglückten Selbsttötungsversuch wird er zu einer Gesprächstherapie verpflichtet. Einer attraktiven, aber strengen Therapeutin erzählt er seine Lebensgeschichte, wobei nie ganz sicher ist, wo er zu fabulieren beginnt. Er ist im Bürgerkrieg aus dem Libanon geflohen und fühlt sich mitschuldig an der Ermordung seiner Schwester. In Montreal lebt er am Existenzminimum, eben eine Kakerlakenexistenz, wie sie zahlreiche Immigranten in seiner Umgebung auch führen. Er flunkert und stiehlt sich durchs Leben. In einem persischen Restaurant jobbt er schließlich als Abwäscher und Mädchen für alles. Als ihn seine iranische Freundin, die in einem Gast des Lokals ihren Folterer im Iran wiedererkennt, um Hilfe bittet, wird es für ihn ernst. Sprach- und bildgewaltig, voller Tragikomik und schwarzem Humor. Einfühlsam aus der Perspektive von Heimatlosen, Entwurzelten, Traumatisierten erzählt, die mit Witz und Aggression am Rande der Gesellschaft diese beobachten. Anschauliche Verdichtung des dürren Begriffes "Migrationshintergrund" und der Ent-Menschung durch Heimatverlust. *bn* Fritz Popp

Personen: Hage, Rawi Hens, Gregor