Karl Lehmann, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz und seit 2001 auch endlich Kardinal, gehört für viele gläubige, aufgeklärte Katholiken zu den Lichtgestalten ihrer Kirche. Ihr Glaube ist fest, doch Verhalten und Lehrentscheidungen der römischen Mutterkirche (Empfängnisverhütung, Diskriminierung von Frauen, Umgang mit der Geschichte) machen ihnen ein Leben dort schwer. Da wecken die bedachte Art Lehmanns, das spürbare Interesse und Verständnis für Probleme und das Bemühen um den Ausgleich zwischen extremen innerkirchlichen Positionen die Hoffnung auf eine menschlichere Kirche, denn viele Themen brennen den Menschen unter den Nägeln. Zum Beispiel: die Zulassung Wiederverheirateter zu den Sakramenten, ethische Fragen der Gegenwart (Embryonenforschung), politisch-gesellschaftliche Entwicklungen und Notwendigkeiten (Zuwanderungsgesetz).
In einer Reihe von Auseinandersetzungen haben sich jedoch die persönlichen und autoritativen Grenzen des Mainzer Kardinals gezeigt -- zum Beispiel bei dem von Rom verordneten Ausstieg aus der Schwangerschaftsberatung oder dem Austausch und Bemühen um die Einheit der Christenheit in Zusammenarbeit mit der evangelisch-lutherischen Kirche. Innerhalb des theologischen Glaubens und der Kirchenverfassung ist für die von Lehmann gelegentlich gewagten Spagate kein Spielraum, es sei denn, man besitzt den Mut zum wirklichen Konflikt und dann auch zum Verzicht -- was man von einem tief überzeugten Kirchenmann nicht wird verlangen können, zumal die Wirkmöglichkeiten dann ganz endeten. Insgesamt also ein hochaktueller, spannender und differenziert darzustellender Gegenstand. Eine Biografie Lehmanns war daher ein Desiderat. Leider ist die Chance verschenkt worden, die Bewertung fällt daher zwiespältig aus.
Der Kardinal ist informativ und solide recherchiert: Kindheit, Jugend, Schule, Studium in Freiburg und Rom, universitäre und kirchliche Laufbahn, Zusammenarbeit mit Karl Rahner, Schriften, Ehrungen, Auffassungen, angereichert mit unterhaltenden Anekdoten. Der Stil allerdings schwankt zwischen naiver Kunst, Pathos und bisweilen plumper Schlichtheit. Da der Kardinal durch zahlreiche Gespräche zur Entstehung dieser Biografie beigetragen hat, kann man nur hoffen, dass er nicht wusste, was ihn als fertiges Produkt erwarten würde. Wenn doch, müsste man annehmen, dass die sonst so kritisch-ausgewogene Haltung Ausnahmen kennt. Unbenommen aller beruflichen wie persönlichen Erfolge und Leistungen Lehmanns wäre eine Darstellung mit mehr kritischer Distanz wünschenswert und der Lebensbeschreibung, die nach modernen Kriterien keine Apotheose sein soll, zuträglich gewesen. --Osseline Kind -- Dieser Text bezieht sich auf eine vergriffene oder nicht verfügbare Ausgabe dieses Titels.
Kurzbeschreibung
Er ist alles geworden, was man in der katholischen Kirche werden kann: ein international bedeutender Theologe und Professor, Bischof und Kardinal, Kirchenpolitiker von Rang, ein gefragter Gesprächspartner von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Medien. Dabei wollte Karl Lehmann ursprünglich »nur« Pfarrer werden. Daniel Deckers vertieft sich mit bisher nicht gekannter Intensität in die Lebensgeschichte eines außergewöhnlichen Mannes. Seine Biographie ist reich an Geschichte und Geschichten, an Hintergründen und bisher unbekannten Fakten. »Ein großer Wurf!«
Personen: Deckers, Daniel
Standort: Sachbuchraum
LEH
Deckers, Daniel:
Der Kardinal : Karl Lehmann ; eine Biographie / Daniel Deckers. - 1. Aufl. - München : Knaur, 2004. - 400 S. : 29 Abb
ISBN 978-3-426-77690-2 kt. : EUR 12,99
Biographien - Buch