Rezension: In einem Geflecht von nur langsam zuordenbaren Stimmen werden die Wege von zwei Jugendlichen nachgezeichnet, die am Abschlussball der Highschool MitschülerInnen als Geiseln nehmen und drohen sie zu erschießen und die Turnhalle in die Luft zu sprengen. Dass es schließlich "nur" zum Selbstmord des einen Attentäters und zu einigen Verletzten kommt, ist eher dem Zufall zu verdanken. Zusammengehalten wird der Text durch die (fiktive) Recherche der Stiefschwester des einen jugendlichen Amokläufers. Sie geht dabei bis in die Grundschulzeit und lässt die wenigen FreundInnen und andere MitschülerInnen, Eltern, und LehrerInnen zu Wort kommen. Eingestreut werden immer wieder die Abschiedsbriefe der beiden. Wer sich aus diesem Puzzle ein durchgehendes, eindeutiges Bild erwartet, wird enttäuscht, denn der Autor hütet sich vor Schwarz-weiß Malerei und einfacher Linearität. Einzig die Schikanen durch die Mitglieder der Footballmannschaft werden intensiver thematisiert, wobei auch deutliche Kritik an den Praktiken der amerikanischen Highschools herauszuhören ist, sportliche Leistungen als Legitimation für die Möglichkeit des sozialen Aufstiegs für Unterschichtkinder über zu bewerten. Sonst zeigen die beiden Protagonisten in den bruchstückhaften Protokollen Biographien, die sich mit denen vieler - auch europäischer - Kinder und Jugendlicher heute decken: Scheidung der Eltern mit anschließender psychologischer Betreuung bei dem einen, Gary, Umzug und dadurch Außenseitertum beim anderen, Brendan. Dazu kommen massiver Fernsehkonsum mit Neigung zu Gewaltspielen und dementsprechenden Fantasien in den eingestreuten e-mails, der leichte Zugang zu Waffen und das Ausprobieren von Alkohol. Die fatale Wirkung der Schülermorde von Littleton, die zeigt, dass man als Täter eine enorme Öffentlichkeit erreicht und endlich aus seiner Nobody- und Außenseiterecke herauskommt, kann als Motivation für die Planung des Anschlags gedeutet werden. Doch im Gegensatz zu Littleton endet die fiktive Geiselnahme von "Middleton" für die Amokläufer fatal - der eine, Gary, begeht Selbstmord, der andere, Brendan, überlebt schwer verletzt und wird nicht mehr aus dem Koma erwachen. Der angestrebte "Ruhm" und die Medienpräsenz finden nicht statt. Der Autor arbeitet zwar mit präventiver Pädagogik, aber subtil. Denn das Fazit dieses Buches kann nur sein, dass auch durch pädagogisches Bemühen Aggressionen und Gewalthandlungen nicht gänzlich verhindert werden können. Vor allem an LehrerInnen wenden sich das Vorwort des Autors zur deutschen Ausgabe und ein ausführliches Nachwort von Prof. Hurrelmann. Es ist also sehr viel präventives Bemühen rund um dieses Buch - vielleicht auch, um das schlechte Gefühl zu beruhigen, das der Titel hinterlässt, der jugendliche LeserInnnen anziehen dürfte. Und das Resümee der Jugendlichen? Viel guter Wille Außenseiter zu integrieren, endet in der Resignation: Was tun, wenn sie das gar nicht wollen?
Personen: Rhue, Morton Schmitz, Werner (Übers.) Hurrelmann, Klaus
Standort: St. Johann
JE
Rhu
Rhue, Morton:
Ich knall euch ab! / Morton Rhue. Mit einem Nachwort von Klaus Hurrelmann. Aus dem Amerikan. von Werner Schmitz. - Ravensburg : Ravensburger Buchverl., 2002. - 145 S. - (Ravensburger Taschenbuch; 58172)
ISBN 3-473-58172-0 kart. : EUR 7,20
Erzählungen und Romane (Kindermedien) - Buch: Kinder-Jugend