Seit man zum Roman allenthalben Krimi sagt, lautet das Urteil der nicht Krimi-affinen Leserschaft: Der schönste Krimi ist jener, der keiner ist. Franz Kabelka muss natürlich Kriminalroman auf den Umschlag schreiben, aber genau genommen kommt der Roman auch ohne diese Bezeichnung aus, denn die Leichen kommen spät und widerwillig, gerade noch, dass sie im Drama untergebracht werden können. Denn Kaltviertel ist ein Drama an Entlegenheit und wundersamer Naivität. Der Titel geht auf eine Bemerkung des Waldviertel-Schriftstellers Thomas Sautner zurück, der das Waldviertel in einer Hommage eiskalt als Kaltviertel bezeichnet. Die Journalistin Frieda Prohaska ist so nebenher bei einer Recherche schwanger geworden, sie überlegt noch, was sie mit dem heranwachsenden Insassen machen soll und wie sie es dem aktuellen Lebensgefährten beibringt. Da nimmt sie sich eine Auszeit und geht in ihren Kindheitsort Penzdorf zurück. Die Kindheit hat sie mit Geschwistern und einem skurrilen Vater, den sie Aiff nennen mussten, in Thorgard verbracht. Mitten in der Natur gab es ein esoterisches Aussteigerleben, das vielleicht jetzt mit den Genen weitergegeben wird. Die Zeit will sich Frieda mit Recherchen zur Windkraft vertreiben, es gibt nämlich einen handfesten Krach zwischen einem LKW-Unternehmer, der gegen das Geknattere von Rotorblättern ist, und dem Bürgermeister, der mit dem Energiekonzern schon einen Vorvertrag abgeschlossen hat. Jeder hier ist mit jedem verwandt, "bei uns herrscht gelebte Inzucht". (159) Dieser Satz wird erst so richtig bedeutsam, als der Bürgermeister tot aufgefunden wird, stilecht ist er am Höhepunkt des Naturkultes in der Gudenushöhle abgelegt worden. Jetzt kommen die üblichen Krimi-Rituale in Gang, die aber nur zeigen, wie widerborstig eine Bevölkerung sein kann, die nicht verwaltet werden will, und schon gar nicht von einer Zentrale aus. Frieda erleidet einen parallelen Schicksalsschlag, als ihr aktueller Geliebter bei einem Autounfall umkommt, gerade hat sie ihm die Sache mit dem Kind erklärt. Persönliche Trauer und allgemeiner Aufruhr über einen offensichtlich ermordeten öffentlichen Menschen halten den Landstrich auf Trab, zumal schon die längste Zeit ein Schwede herumgeistert und sich für nordischen Aussteigerkult interessiert. Die Lösung darf auch bei einem Nicht-Krimi hier nicht verraten werden, nur so viel: Es gibt eine offizielle Lösung, die in die Archive wandert. Und dann erleichtern sich die Beteiligten untereinander mit Geständnissen, die jeder stillschweigend verschwinden lässt. Die echte Wahrheit vom Kaltviertel kann nämlich nicht in offiziellen Einrichtungen verwaltet werden, die trägt jeder kalt und steif in seinem eigenen Herzen herum. Franz Kabelka erzählt von einem Lebensmodell, das in der Peripherie der Gesellschaft dem Überleben dient. Probleme, die von außen in das Soziotop getragen werden, und sei es nur die Windkraft, bringen alles zum Erzittern. Dabei sind die Faustregeln fürs Überleben sehr klar: "Und warum trinkt man schon zu viel? - Weil man nicht so gut drauf ist. Vermutlich." (180) Helmuth Schönauer
Personen: Kabelka, Franz
Standort: St. Johann
DR.D
Kab
Kabelka, Franz:
Kaltviertel : Kriminalroman / Franz Kabelka. - Weitra : Bibliothek der Provinz, [2017]. - 236 Seiten
ISBN 978-3-9902867-5-3 Festeinband : EUR 22.00
Kriminalromane - Buch: Dichtung