Elternferne ist eines der Hauptmotive in der Kinderliteratur. Wenn Eltern nicht existieren oder - wie in diesem Fall - nach einer heftigen Auseinandersetzung und der Weigerung des Jungen, in den Kindergarten zu gehen, wütend die Türe hinter sich zuschlagen und ihn alleinlassen, beginnen die wahren Abenteuer der Kinder. In diesem Fall sind es Piratenabenteuer. Die gesamte Wohnung wird eine Abenteuerlandschaft, der kleine Pirat erobert ämit Tosen und Geschrei Toilette und Küche, die Beute waren Bohnen und Pfirsiche in Dosen, zwanzig Eier und ein Öl aus Rosenô. Der Junge hält sich in seiner omnipotenten kindlichen Spiellust an keine Regel, versucht sogar, sein Mittagessen am offenen Feuer zu braten. äGott sei Dank hielt er die Flammen an etwas Hartes, das nicht recht Feuer fing, sonst wäre der Ausgang der Geschichte schlimm.ô Je mehr die Verwüstung der Wohnung im kindlichen Piratenspiel ihren Lauf nimmt - überall kleben Honig, Marmelade, Ketchup und Himbeersaft -, desto größer wird seine Angst vor einem Überfall. Und tatsächlich: Nach dem ersten vermeintlichen Dieb, der sich schon in die Flucht geschlagen als Aufräumefrau entpuppt, rückt die Oma an. Nun spitzt sich die Handlung zu und wird zur Farce: Ein wahrer Dieb kommt und fesselt die Oma, die Funken haben sich nun doch zu einem Feuer entwickelt à Selbstverständlich geht die Sache für den kindlichen Helden gut aus: Der Dieb wird gefasst, das Feuer gelöscht und der kleine Pirat sieht auch nach den eindringlichen Ratschlägen der Erwachsenen keinen Handlungsbedarf, quittiert sie mit den Worten: äJa, ja redet nur, Ja, redet nur.ô Franzobel gestaltet seine Erzählung in gereimten Versen, wie sie in der Kinderliteratur oft für moralische Geschichten verwendet werden. äDer kleine Piratô aber ist weit entfernt von einem kindlichen Benimmbuch, es fehlt vielmehr jede moralische Grundierung. Aus jeder Zeile atmet es kindliche Anarchie, die sich durch nichts brechen lässt. Lustvoll wird gemordet, verwüstet und ausgetrickst. Erwachsene sind und bleiben verständnislose Spießer, die in dieser Welt einfach ignoriert werden. Leider findet sich diese ungebändigte Anarchie nicht in den Illustrationen von Judith Loske. Ihre Bilder bleiben bieder und lieblich, geben keine zusätzlichen Impulse und stimmen mit dem Grundton des Textes nicht ansatzweise überein.
Personen: Franzobel Loske, Judith
Franzobel:
¬Der¬ kleine Pirat / Franzobel. Judith Loske [Ill.]. - Wien : Picus-Verl., 2015. - 45 Seiten : Illustrationen
ISBN 978-3-85452-183-9 Festeinband : Euro 13,90
Bilderbücher - Signatur: JD FRA - Kinder- und Jugendbücher