Die "Pfaueninsel" bei Potsdam/Berlin ist der titelgebende Ort eines opulent erzählten Romans über ein Stück preußischer Geschichte im Wandel des 19. Jahrhunderts. (DR) Die Pfaueninsel in der Havel ist ein künstlich geschaffenes Paradies, wo im 19. Jahrhundert ungewöhnliche Menschen wie ein Riese, ein Südseeinsulaner oder die beiden kleinwüchsigen Geschwister Marie und Christian als Teil einer märchenhaft inszenierten Kulisse mit exotischen Tieren und Pflanzen leben. Bei einer unerwarteten Begegnung mit dem Zwerg Christian schreit die Königin Luise I. vor Entsetzen auf und nennt ihn ein "Monster". Dieses Wort trägt Christian weiter zu Marie, und es bedeutet für sie eine lebenslange, entwürdigende Stigmatisierung. In dieser Parallelwelt gilt Marie offiziell als Schlossfräulein des preußischen Hofs, sie dient als Schauobjekt, wandelnde Kuriosität und zur sexuellen Befriedigung des Königs. Zwischen den Geschwistern, die ein inzestuöses Verhältnis verbindet, steht Gustav Fintelmann, der Neffe des amtierenden Hofgärtners Friedrich. Ein talentierter Biologe, in den sich die Zwergin Marie verliebt, der sich aber heimlich zu ihrem Bruder Christian hingezogen fühlt und schließlich Marie, die Mutter seines Kindes, im Stich lässt. Aus Maries Perspektive, die ihr ganzes Leben nachweislich von 1806 bis 1880 auf der Pfaueninsel verbringt, werden Blüte, Reife und Verfall der Pfaueninsel zu einem Sinnbild preußischer Geschichte des 19. Jahrhunderts verdichtet. Formal betrachtet ist es ein klassischer Bildungs- und Entwicklungsroman, gleichzeitig aber eine aktuelle, diskursive Auseinandersetzung mit dem flüchtigen Wesen der Zeit, und zwar mit jenem "luftdünnen Gespinst der Zeit selbst, die so schnell vergeht, dass wir's kaum zu greifen bekommen in all den dröhnenden Reden von Fortschritt und Aufklärung". Dieser sprachmächtige Roman bietet ein besonderes Lektüreerlebnis, das formal beeindruckt durch die elegante Buchgestaltung, die feine Papierqualität, den silbrig-graublau glänzenden Leineneinband mit der Darstellung eines vieldeutigen Pfauenauges und nicht zuletzt durch eine zwischen Vergangenheit und Gegenwart changierende "zeitlose" Geschichte vom menschlichen Streben, Lieben und Leben.

Altersempfehlung: ab 16 Jahren.

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Personen: Hettche, Thomas