Schubert, Helga
Vom Aufstehen Ein Leben in Geschichten
Buch


Rezension

Die 1940 geborene Helga Schubert, verheiratete Helm, ist Psychologin und Psychotherapeutin, Autorin und Biografin ihres Lebens - einer Geschichte über Flucht und DDR bis hin zur Wendezeit und dem Heute.
"Vom Aufstehen" ist und meint alles: Erinnern und Sortieren, Liebeserklärung und Versöhnung mit dem Vergangenen und letztlich mit dem Alter. Lebensnah, aber nicht zu nah schildert die Autorin unglaublich einfühlsam in losen Kapiteln ihre Kindheit, das Heranwachsen in der Zerrissenheit zwischen Mutter und Schwiegermutter, die schwierige Mutter-Tochter-Beziehung samt familiärer Verflechtungen und ihr Älterwerden, Erfolge und das Altsein.
Ein Leben, das von den Geschehnissen und Brüchen des 20. Jahrhunderts geprägt und mit der alleinerziehenden ehrgeizigen Mutter durchzustehen war. Über allem lag die Trauer um den Vater, der - kaum Jurist - im Krieg fallen musste. Dieser Mutter könnte Schubert das Buch gewidmet haben, denn sie ist nahezu die zentrale Figur. Sie lässt die erwachsene Tochter nicht los, während Letztere um Freisein ringt, um mütterliche Liebe und Anerkennung wirbt.
Im besten Sinne Viktor Frankls galt und gilt für die Autorin immer wieder, "Trotzdem Ja zum Leben sagen" - eben immer wieder aufstehen.
So verfügt sie trotz Überwachung im DDR-Staat über ein unerschütterliches Vertrauen in das Leben und in ihre Mitmenschen - damit über die Kraft zum Weitermachen. Nur so ist letztlich die Aussöhnung mit dem Verlust des Vaters und der Versuch einer Versöhnung mit der herben egozentrischen Mutter möglich.
Rückblickend mag die Tochter Kränkungen und traumatische Erfahrungen aufgrund ihrer sicheren Bindung zur väterlichen Großmutter überstanden haben. Diese jahrelangen engen Kontakte verhalfen ihr dazu, schwierige Lebenssituationen ohne anhaltende Beeinträchtigung zu bewältigen. Die geliebte Großmutter - ihr wunderbarer, bleibender Ruhepol, ein Fluchtpunkt, den jeder Mensch sich wünscht und braucht, um Herausforderungen aus eigener Kraft bewältigen zu können.
Aber eines blieb: Das Ringen um mütterliche Anerkennung und Liebe. Was kann die Autorin von ihrer Mutter erwarten? Einer Mutter, die am Ende ihres wahrhaft langen 100-jährigen Lebens ihre Zuneigung für die Tochter auf merkwürdige Weise bekundet: "Ich habe drei Heldentaten vollbracht, die dich betrafen. Erstens: ich habe dich nicht abgetrieben, obwohl dein Vater das wollte. Und für mich kamst du eigentlich auch unerwünscht ... Zweitens: Ich habe dich bei der Flucht aus Hinterpommern bis zur Erschöpfung in einem dreirädrigen Kinderwagen im Treck bis Greifswald geschoben und drittens: Ich habe dich nicht vergiftet oder erschossen, als die Russen in Greifswald einmarschierten ..." (S. 216 f.)
Helga Schubert kann verzeihen und loslassen, sie endet mit den Worten: "Alles gut."

Rezensent: EG


Personen: Schubert, Helga

Interessenkreis: Rezensierte Titel

E Schub

Schubert, Helga:
Vom Aufstehen : Ein Leben in Geschichten / Helga Schubert. - München : Dt. Taschenbuch-Verl., 2022. - 221 Seiten
ISBN 978-3-423-14847-4

Zugangsnummer: 2023/0024
Erzählungen - Buch