Quelle: Pool Feuilleton; Was harmlos klingt, verbirgt oft die größten Lebenstumulte. Wer sich literarisch unter einem Garten was sauber Aufgeputztes vorstellt, ist spätestens seit Hugo von Hofmannsthal auf der falschen Spur. Literarisch betrachtet ist der Garten die friedliche Form der Hölle. Christine Wiesmüller fängt ordnungsgemäß mit einem Begräbnis an. Wenn man zusammensteht, um eine Idee samt den damit involvierten Menschen zu begraben, entsteht automatisch eine Geschichte, denn niemand steht sinnlos bei einem Begräbnis herum. Die Helden dieser Prosa sind mehr oder weniger verrückt, haben sich längst in diverse Lebensrollen verdrückt und stehen am Grab mehr oder weniger sinnlos herum. Der Insasse des Sarges hat sich umgebracht, erfahren wir bald einmal, obwohl er keinen Grund dazu gehabt hätte. Andererseits ist die Konstellation so angelegt, dass man sich vielleicht umbringen muss, um der Situation zu entkommen. Die Protagonisten sind nämlich Geschwister, in den Genen vielleicht teilweise ähnlich, aber sonst zusammengewürfelt auf ein kleines Landgut, das offensichtlich nichts mit der Außenwelt zu tun hat. So ist es kein Wunder dass der Oberverrückte ständig nach England will, um dieser Welt zu entfliehen. Aus seinem Horizont erfahren wir, wie bescheuert so ein Landleben sein kann und wie man ununterbrochen gegängelt wird. Tatsächlich ist in diesem Fall der Semi-Erzähler ein Pflegefall, der nichts ohne seine pflegende Oberschwester tun kann. Beim Begräbnis freilich säuft sie sich an und ist disparat. "Sie essen wie ein Schwein, ich habe Sie beobachtet. Wenn man nicht aufpasst, passiert ein Unglück" (38) Das kriegt sogar der Pflegefall mit, dass da etwas heute beim Begräbnis nicht stimmt. Die folgenden Episoden sind geradezu üppig minimalistisch ausgelegt: Die Nacht; Am nächsten Morgen; Der Abschiedsbrief; Am nächsten Sonntag: Nach Mitternacht: In der Sonne, Vor Sonnenuntergang. So hintereinander gelesen ergeben die Kapitel einen zynischen Kommentar zur gängigen Literaturgeschichte, jeder Abschnitt nämlich ist die Antwort auf einen großen Roman, der scheinbar in Vergessenheit geraten ist. Der Garten erweist sich als Irrgarten, als Garten für Irre, als Garten der Literaturgeschichte. Nicht umsonst lässt Christine Wiesmüller Figuren immer wieder im Stile Thomas Bernhards an die Welt anrennen, wenn es um diese sinnlosen Familienrituale geht, in welchen den Individuen nur noch die Zentrifugalkraft im Hirn zum Überleben bleibt. "Die Krankenschwester schnarchte. Leopold stand auf, schlich sich an ihr Bett, hielt ihr die Nase zu. Sie schnaubte, grunzte, wachte beinahe auf und sank wieder in tiefen Schlaf." (187) Im Garten sind vielleicht alle Akteure Pflegefälle, hin und her geschoben zwischen Lebensplanung und erloschenem Sinn, und selten ist klar, wer nun wirklich welche Rolle spielt. Christine Wiesmüllers Roman-Konglomerat ist ein schlaues Gebilde aus Wahnsinn, Widerstand und widerwilligem Lebenssinn. Und dieser Text flutscht mit vollem Gelächter die Lektüre-Kehle hinunter. Helmuth Schönauer
Rezension
Serie / Reihe: Passagen Literatur
Personen: Wiesmüller, Christine
Wiesmüller, Christine:
¬Der¬ Garten / Christine Wiesmüller. - Dt. Erstausg. - Wien : Passagen-Verl., 2007. - 206 S. - (Passagen Literatur)
ISBN 978-3-85165-739-5
Romane, Erzählungen und Novellen - Signatur: DR Wies - Buch