Rezension: Marcel Reich-Ranicki hat im Rahmen des literarischen Quartetts einmal gesagt: "Mich interessiert die Literatur, nicht das Buch." Das glauben wir ihm - und es sei ihm unbenommen. Viele andere Leserinnen und Leser allerdings sind nicht nur LiteraturliebhaberInnen, sondern auch der Materialisierung von Literatur verbunden. Wenn Raimund Gregorius, der steife, etwas verstaubte Altphilologe aus Pascal Merciers (das ist Peter Bieri) "Nachtzug nach Lissabon" (Hanser bzw. als Taschenbuch bei btb) nachhaltig aus seiner Bahn geworfen wird, so hat das eben nicht nur mit einer geheimnisvollen Frau und dem Klang des Portugisieschen zu tun, und nicht nur mit den ersten Sätzen eines Buches, das er in einem Antiquariat gefunden hat, sondern auch mit diesem Buch selbst, das er fortan nicht mehr aus der Hand gibt, das ihm Stütze und Plan ist auf seiner Reise, dieser Suche nach der Freiheit. Bücher sind mehr als nur der Trägerstoff von Geschichten, die uns so wichtig sind. Zu Büchern kann man durchaus eine körperliche Beziehung haben, wie Alberto Manguel in "Eine Geschichte des Lesens" (Rowohlt Taschenbuch) schreibt, eine Beziehung, "an der alle Sinne teilhaben: Die Augen sammeln die Wörter von der Seite auf, in den Ohren hallen die Geräusche der gelesenen Laute wider, die Nase inhaliert den vertrauten Geruch von Papier, Leim, Tinte, Pappe oder Leder, die Fingerkuppen streichen zärtlich über das rauhe oder glatte Papier à" Diese Liebeserklärung an das Buch ist zugegebenermaßen nicht frei von Pathos und die bei weitem größere Anzahl der Bücher, die wir lesen, ist frei von Leder. Aber letztendlich ist das ein schönes Bild für das Lesen - eine Tätigkeit, an der nicht bloß der Intellekt, sondern der ganze Mensch beteiligt ist. Wer eine derartige Beziehung zu Büchern pflegt, hat oft auch Interesse am Herstellungs- und Vertriebsprozess derselben. Ihn wird möglicherweise der Kommentar des New Yorker Verlegers André Schiffrin zu den großen Veränderungen im Verlagswesen in den letzten beiden Jahrzehnten ("Verlage ohne Verleger", Wagenbach) ebenso interessieren wie Details der Buchproduktion. Dass jetzt auch angehende BuchliebhaberInnen sich leicht ein Basiswissen über die Herstellung von Büchern erlesen können, daran sind Gudrun Sulzenbacher und der Folio Verlag verantwortlich, die "Vom Büchermachen" erzählen. Sie tun das sehr anschaulich an Hand der "Gletschermumie", jenem Sachbuch also, das 2000 bei Folio mit erheblichem Erfolg erschienen ist. Sie tun das fachkundig, das war zu erwarten, sie tun es mit viel Liebe zum Detail - was wohl an ihrer Liebe zum Buch im Allgemeinen liegt. Wie kommt es zu einem Buchprojekt, wer ist daran wie beteiligt, wie läuft der Herstellungsprozess ab, wie kommt das Buch zum Leser - das sind die Grundfragen. Was ist das Vorsatz, wie greift sich glattes oder gestrichenes Papier an, kann man einen Zwiebelfisch essen, wie wird Offset gedruckt, wo ist die Witwe zu finden, warum müssen die Schafe freigestellt werden oder wer bekommt eigentlich wieviel vom Verkaufspreis eines Buches - das sind einige der vielen Details, die den LeserInnen in der Form der Rundum-Gestaltung mit vielen Fotos und Illustrationen und einem einfachen gut gegliederten Text vermittelt werden. Klar ist: Herr Reich-Ranicki hätte keine Freude an "Vom Büchermachen". LeserInnen aber, die wissen wollen, wie die Bücher, die sie gerne in die Hand nehmen, in ihre Hand kommen, sind mit diesem Sachbuch übers Sachbuch machen gut bedient. Und jedenfalls kann man von diesem Buch sagen, dass die folgende böse Unterstellung Georg Christoph Lichtenbergs in keinem Teil stimmt: "Eine seltsamere Ware als Bücher gibt es wohl schwerlich in der Welt. Von Leuten gedruckt, die sie nicht verstehen; von Leuten verkauft, die sie nicht verstehen; gebunden, rezensiert und gelesen von Leuten, die sie nicht verstehen; und nun gar geschrieben von Leuten, die sie nicht verstehen."
Personen: Sulzenbacher, Gudrun
Standort: Zell am See
JK Kunst, Literatur SULZ
Sulzenbacher, Gudrun:
Vom Büchermachen : wie Ötzi ins Buch kam / Gudrun Sulzenbacher. Mit Ill. von Detlef Surrey. - 1. - Wien : Folio-Verl., 2006. - 64 S. : zahlr. Ill.
ISBN 978-3-85256-321-3 fest geb. : ca. EUR 15,80
JK Kunst, Literatur - Buch: K / J Sachbuch